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Alexander Dettke: "Wir haben uns einen Wald gekauft"

Alexander Dettke: "Wir haben uns einen Wald gekauft"
Foto: © Alexander Dettke

Alexander Dettke hat vor 12 Jahren das Wilde Möhre Festival ins Leben gerufen und gründet jetzt eine Genossenschaft - mit dem Ziel, darüber Kulturräume zu sichern. Wie hilfreich sind Genossenschaftsmodelle für zukünftige Festivals und Kulturräume? 
 

INTERVIEW  Jens Thomas

 

CCB Magazin: Alexander, ihr seid das Wilde Möhre Festival und gründet gerade eine Genossenschaft. Warum dieser Schritt? 

Alexander Dettke: Das hat verschiedene Gründe: Der erste ist, dass wir das Miteinander stärken wollen und die Leute an unsere Idee und Mission binden möchten. Ein zweiter ist, und das ist wohl der entscheidende, dass wir versuchen, darüber Kulturräume zu sichern: Wir wollen die Marktdynamik umdrehen. Denn die funktioniert bekanntlich so, dass dort, wo Kultur gute Arbeit leistet und Menschen in ihren Bann zieht, irgendwann ein Verteuerungsprozess einsetzt – die Mieten steigen, die Kosten schießen in die Höhe, zum Schluss stehen viele Kulturorte, die die Attraktivität erst in die Stadt oder in eine Region gebracht haben, vor dem Aus. Hier wollen wir gegensteuern und über das Genossenschaftsmodell Räume für die Kultur langfristig sichern. 

CCB Magazin: Und das soll wie funktionieren? 

Alexander Dettke: Eine Genossenschaft ist ein Zusammenschluss oder Verband von natürlichen oder juristischen Personen, um zur wirtschaftlichen und sozialen Förderung ihrer Mitglieder beizutragen. Das Besondere an einer Genossenschaft ist, dass jedes Mitglied eine Stimme hat – unabhängig davon, mit welcher Einlage er oder sie der Genossenschaft beitritt. Das ermöglicht es uns, viele für unser Vorhaben zu gewinnen. Denn wenn wir künftig Räume in der Stadt und um Berlin herum sichern wollen, müssen wir viele sein, und die Wilde Möhre wird seit Jahren von vielen begleitet und getragen. Derzeit haben wir uns beispielweise fünf Hektar Land gekauft und forsten dazu die Gegend mit einem brandenburgischen Öko-Institut auf – so kriegt uns hier keiner mehr weg. 

Wir wollen die Marktdynamik umdrehen. Denn die funktioniert so, dass dort, wo Kultur gute Arbeit leistet und Menschen in ihren Bann zieht, irgendwann ein Verteuerungsprozess einsetzt. Hier wollen wir gegensteuern und über das Genossenschaftsmodell Räume für die Kultur langfristig sichern

CCB Magazin: Bevor wir weiter ins Detail gehen: Was genau ist die Wilde Möhre? 

Alexander Dettke: Das Wilde-Möhre-Festival war anfänglich ein philosophischer Kreis zu Fragen des guten Lebens, mittlerweile sind wir eine feste Größe in der Festivallandschaft: Gegründet haben wir uns vor 12 Jahren. Das Festival findet in der Lausitz in Brandenburg statt. Musikalisch bewegen wir uns zwischen Electronic, Indie und Indie-Pop – viele sagen, wir wären die kleinere Fusion: klein, weil die Besucherzahl auf 5.000 begrenzt ist. Im Mittelpunkt stehen Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Entspannung und das Gemeinsame. So haben wir beispielsweise mittlerweile eine eigene Ziegelei, dazu drei Campinglätze, wir bauen soweit es geht alles selber – nach ökologischen Kriterien. Und unser Festival findet mitten im Wald statt, an einem See, hier werden wir eins. Mein Schwiegervater war einmal auf einem der Festivals und sagte: „Alex, das ist ja so friedlich hier. Hier gibt es gar keine Schlägereien“ – nun, man muss wissen, er kommt vom Dorf, dort eskaliert es nachts ab eins regelmäßig auf der Kirmes. Bei uns liegen sich die Menschen eher in den Armen. Da lag es auf der Hand, dazu eine entsprechende Rechtsform zu finden. 

Das Wilde Möhre Festival: Fotos: Alexander Dettke
 

CCB Magazin: Zur Gründung einer Genossenschaft braucht es drei Personen. Die Mitglieder üben ihren Einfluss über die Generalversammlung aus, über das höchste Entscheidungsgremium der Genossenschaft. Wie viele Mitglieder habt ihr? Wie laufen die Entscheidungsprozesse ab? 

Alexander Dettke: Wir versuchen alles basisdemokratisch abzustimmen, und wir werden immer mehr. Die Genossenschaft, die wir gegründet haben, ist die „mit Freude eG”. Das Wild-Möhre-Festival selbst ist aber noch immer eine GmbH. Das heißt, die „mit Freude eG” fungiert als Holding über der Wilden Möhre, und soll, so der Plan, künftig noch weitere Projekte und Orte unter sich bündeln. 

CCB Magazin: Aber wie verträgt sich das rein rechtlich, wenn die Wilde Möhre eine GmbH bleibt und über ihr eine genossenschaftliche Dachorganisation wie „mit Freude eG” sitzt? 

Alexander Dettke: Ganz einfach. Der Vorstand der Genossenschaft hat die Hoheit, er ist ein bisschen wie der Gott. Darunter sitzen die Könige, denen Gott auf die Finger schaut – so auch der Wilden Möhre und mir. So kann der Vorstand der Genossenschaft etwa beschließen, wie viel Geld ausgegeben wird. Er kann auch die Richtung vorgeben und sogar den Geschäftsführer der Wilden Möhre, also mich, abbestellen – oder die Genossenschaft beschließt, die GmbH der Wilden Möhre in eine Genossenschaft umzuwandeln. So weit sind wir aber noch nicht. Derzeit ist es so, dass die Genossenschaft „mit Freude eG” mit der Wilden Möhre einen Zusatz-Vertrag hat, wonach derjenige, der mehr Anteile an der Wilden Möhre über die „mit Freude eG” zeichnet, auch mehr Mitspracherechte hat – obwohl die Wilde Möhre eine GmbH ist. Sicherst du dir beispielsweise zehn Anteile an der Wilden Möhre, kannst du konkrete Initiativen vorschlagen, wie du beispielsweise das Programm inhaltlich mitgestaltest. Ich selbst darf aber nicht doppelt stimmen. Das heißt, ich bin derzeit bei Entscheidungen der Holding, die die Wilde Möhre betreffen, ausgeschlossen. 

Das Problem vieler Kulturschaffender ist, dass sie oft nicht in der Lage sind, Eigentum an ihrer Sache zu erwerben – genau dafür können Genossenschaften hilfreich sein


CCB Magazin: Das klingt kompliziert. Kommt man sich da bei den Einigungsprozessen nicht in die Haare? 

Alexander Dettke: Das kann natürlich passieren. Im Grunde geht es uns aber um die gleiche Sache. Wie wir den Prozess künftig organisieren, müssen wir schauen. Fest steht aber schon jetzt: Alle Mitglieder haben ein Mitspracherecht, in welche Richtung sich die Genossenschaft entwickeln soll. Die Generalversammlung ist dazu das zentrale Organ. Hier werden wichtige Entscheidungen getroffen, wie die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, die Verwendung des Jahresüberschusses, die Gesamtentwicklung der Genossenschaft oder auch die Schaffung weiterer Organe und Zuweisung von zentralen Aufgaben. Und das Gute ist, dass wir jetzt schon namhafte Mitglieder und Expert*innen an Bord haben – so etwa Marcel Weber, der Vorstandsvorsitzende der Clubcommission, Lea Luce, die Geschäftsführerin der Modulor Produktions- und Logistik GmbH, oder Wissenschaftler*innen wie Prof. Dr. Astrid Friese, Professorin für Medienmanagement an der Macromedia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Berlin, oder den Rechtsanwalt Philipp Schröder-Ringe. Diese Mitglieder helfen uns nicht nur bei Fachfragen. Sie werden uns auch nützlich sein, um weitere Kulturorte zu sichern. 

CCB Magazin: Inwiefern? 

Alexander Dettke: Das Problem bei vielen Kulturschaffenden ist, dass sie oft nicht in der Lage sind, Eigentum an ihrer Sache zu erwerben – viele haben nicht den Markt, sondern die Lebensqualität im Blick. Es muss aber darum gehen, Strukturen zu sichern, und das können wir nur mit vielen – zum einen sind wir darüber anschlussfähiger für Kredite. Wenn ich beispielsweise einen Betrieb alleine führe und die Zeiten instabil sind, hat man gegenüber einer Bank keine Sicherheiten. Gehört der Club oder das Festival dagegen vielen und ist genügend Geld und Wissen im Spiel, bekommt man leichter an Gelder heran. Zum anderen wird man von der Stadt und Politik ernster genommen, wenn man auf gewachsene Strukturen und viel Erfahrung verweisen kann. Es gibt ja in Berlin, man meint es kaum, noch immer einen großen Leerstand. Der wird aber nicht an Hinz & Kunz vergeben. Der geht an Vorzeige-Projekte. Wenn wir hier künftig als Genossenschaft mit vielen namhaften Vertreter*innen in Erscheinung treten, haben wir auch eine realistische Chance, uns weitere Orte sichern zu können. 

CCB Magazin: Wieso seid ihr kein Verein, ein Verband oder in eine gemeinnützige GmbH? 

Alexander Dettke: Wir sind die Rechtsformen natürlich alle durchgegangen. Das Entscheidende war, dass jedes Mitglied in einer Genossenschaft eine Stimme hat, egal wie hoch seine Anteile sind. Auch verfolgt eine Genossenschaft wirtschaftliche Ziele – ein Verein hat dagegen eine rein ideelle, nicht wirtschaftliche Funktion. Und die Gewinne bleiben immer in der Genossenschaft, Mitglied kann man zudem schon mit geringen Einsätzen werden – bei uns geht es mit 100 Euro jährlich los. Für die Gründung einer GmbH oder gGmbh braucht es hingegen 25.000 Euro an Stammkapital, bei einer Aktiengesellschaft 50.000 Euro – und diejenigen, die hier das meiste Geld einbringen, haben auch die meisten Stimmen. Bei einer Genossenschaft ist es so, dass diejenigen, die wieder aussteigen, ihren Anteil wieder ausgezahlt bekommen – sie nehmen keine stillen Reserven oder etwaige Wertsteigerungen mit wie bei einer GmbH. 

CCB Magazin: Bislang gibt es erst wenige Genossenschaften wie eure. Was ist der Grund dafür? 

Alexander Dettke: Eine Genossenschaft bedeutet immer großen bürokratischen Aufwand. Es gibt aber mittlerweile erste Genossenschaftsmodelle in der Kultur wie die Holzmarkt eG, die Streaming-Plattform Resonate oder Wigwam eG. Was ein generelles Problem ist, dass viele in der Kultur noch immer auf stabile Förderungen oder steigende Eintrittspreise hoffen. Was aber, wenn die mal wegfallen oder die Mieten weiter steigen? Dann hast du ein Problem. Hier wollen wir gegensteuern, indem wir als Kulturschaffende Eigentum erwerben. 

CCB Magazin: Abschließend noch ein paar Worte zu dir: Wie bist du zu dem gekommen, was du heute machst? Und welchen Tipp gibst du jemanden, der einen vergleichbaren Weg einschlagen will? 

Alexander Dettke: Oh, das ist langer Weg. Ok, ich mache es kurz: Ich bin gebürtiger Hallenser. Als ich zwei Jahre alt war, fiel die Mauer. In dieser Zeit musste ich erleben, wie der Osten jedes Jahr ein stückweit mehr untergeht – das hat mich geprägt. Ich war dann im Anschluss in Tokio und konnte viel über die kollektivistische Gesellschaft lernen. Und als ich nach dem Abi nach Berlin bin, wusste ich, das ist meine Stadt: Hier ist der Nährboden für das, was ich machen will. Ich habe die Wilde Möhre gegründet, mittlerweile habe ich aber auch noch einen kleinen Urlaubsort, eine Wassertorsiedlung und einen Bahnhof in Calau gekauft – und wenn ich jemanden einen Tipp geben würde: Schließt euch zusammen, versucht es gemeinsam. Verbindet Menschen und ihre Ideen, dann wird alles gut – und nur so kann auch etwas wachsen. 

Rubrik: Innovation & Vision

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