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Katharina Haverich: „Es geht um eine Art von VR-Literacy“

Katharina Haverich: „Es geht um eine Art von VR-Literacy“
Foto: © André Wunstorf

Virtual Reality bietet viele neue Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten. Das können auch Kulturschaffende für sich nutzen. Aber wie geht man mit dieser Technologie um? Auf den ersten Blick scheint das einfacher als gedacht. Darum hat sich Katharina Haverich etwas ausgedacht: Die Berlin School of VR. Mit ihr will sie Menschen und Institutionen zu einem praktischen Zugang zu VR verhelfen.

 

INTERVIEW  Boris Messing    

 

CCB Magazin: Hallo Katharina. Du bist Performance- und Medienkünstlerin und hast in diesem Jahr die Berlin School of VR ins Leben gerufen. Bei Schule, da denke ich immer an Frontalunterricht und überforderte Lehrer.

Katharina Haverich: Ich habe es mit Absicht Schule genannt und nicht Akademie oder Institut, weil ich nicht wollte, dass unser Angebot so ein Eliteding wird. Jeder soll die wundersam-merkwürdige Welt von VR erfahren können. Wir wollen ein Kompetenzzentrum aufbauen, das Sicherheit, Verhaltensweisen, Technik und Anwendungsmöglichkeiten von virtuellen Welten vermittelt. Aber mit Schule, wie du dir das vorstellst, hat das nichts zu tun. Am Ende geht es um eine Art von VR-Literacy, um die Befähigung, sich sicher und gut informiert durch virtuelle Räume zu bewegen. Das ist wie ein Grundkurs oder Führerschein.

CCB Magazin:Kannst du mal ein wenig konkretisieren, was ihr prinzipiell anbieten wollt: Geht es mehr um die technische Handhabe und die kreativen Möglichkeiten von VR? Oder geht es auch darum, selbst virtuelle Welten gestalten zu können?

Katharina Haverich:Die Berlin School of VR bietet VR-Kurse an, um Menschen Einblicke in die Technologie zu geben und ihnen Fähigkeiten für die Nutzung von VR-Headsets zu vermitteln. Wir glauben, dass Grundkenntnisse in der Navigation durch virtuelle Umgebungen in virtuellen Körpern wichtig sind, um virtuelle Welten, auch bekannt als Metaversum, sicher zu erleben. Das betrifft zum Beispiel das Verständnis von Privatsphäre- und Sicherheitseinstellungen. Es kann auch helfen, sich vor Belästigung sowie dem unerwünschten Sammeln von Daten durch App-Entwickler und Hardware-Hersteller zu schützen.

CCB Magazin:An wen richtet sich euer Angebot?

Katharina Haverich:Ich würde gerne eine größere Zielgruppe erreichen. Das können Unternehmen sein oder Kulturinstitutionen und Museen, die VR für ihre Zwecke nutzen wollen. Das können Künstler*innen, Produzent*innen, Kurator*innen oder Dokumentarfilmer*innen sein, aber auch Jugendliche, Eltern oder ältere Leute. Wir haben einen digitalen Fragebogen vorbereitet, worüber wir herausfinden wollen, wer sich für unser Angebot interessieren könnte. Wir fragen da nach dem Alter, wofür VR genutzt werden soll usw. Je nachdem wie die Antworten ausfallen, wollen wir unser Programm gestalten und konkretisieren. Eine Gruppe von Steuerberater*innen hat uns zum Beispiel angefragt. Eine Schule in Neukölln hat Interesse und mit der Helene-Nathan-Bibliothek wird es 2025 auch eine Kooperation geben.

Wir wollen ein Kompetenzzentrum aufbauen, das Sicherheit, Verhaltensweisen, Technik und Anwendungsmöglichkeiten von virtuellen Welten vermittelt. Es geht um die Befähigung, sich sicher und gut informiert durch virtuelle Räume zu bewegen

CCB Magazin:Wann öffnet die Berlin School of VR ihre Türen?

Katharina Haverich:Wir starten mit den Kursen Virtual Reality Crashkurs, Virtuelles Welten-Hopping und Künstlerische Praxis im Metaversum ab Oktober. Später sollen auch spaßige Kurse dazukommen: VR für Verliebte zum Beispiel. Da können sich Paare bei uns anmelden und in einer VR-Welt einen romantischen Abend verbringen. Ab da an geht es richtig los. Wir sind auch gerade dabei, einen 50- bis 70-stündigen Kurs für IHK-Mitglieder vorzubereiten. Aber wie gesagt, unser Angebot wird sich nach der Nachfrage richten.

CCB Magazin:Für die Gründung hast du vom Senat eine Förderung erhalten. Heißt das, eure Kurse werden umsonst angeboten?

Katharina Haverich:Das Angebot bei der Helene-Nathan-Bibliothek können wir kostenfrei anbieten durch die Förderung. Ansonsten kosten die Kurse zwar was, aber nicht so viel, als wenn wir keine Förderung hätten. Langfristig hätte ich gerne ein flexibles Preismodell, bei dem wohlhabendere Firmen für Einkommensschwächere mitbezahlen. Für Menschen mit kleinem Geldbeutel würden die Kurse dann günstiger angeboten werden. Aber wir müssen auch noch andere Fragen klären, wie zum Beispiel: Ist Deutsch die einzige Sprache, in der wir das anbieten? Das wird sich alles zeigen.

CCB Magazin:Es gibt ja bereits Kursangebote, die VR, AR und XR vermitteln, beispielsweise die Aurora School for Artists. Weshalb braucht es noch eine weitere Institution, die diese Technologie nach außen trägt?

Katharina Haverich:Ich kenne die Aurora School for Artists, die ist klasse! Unser Angebot richtet sich allerdings an andere Zielgruppen, nicht nur an Künstler*innen. Uns geht es weniger ums Gestalten von XR, sondern ums informierte und dadurch sichere und souveräne Erleben von Virtual Reality.

Ich bin als Künstlerin ja immer davon abhängig, dass mich der Intendant vom Deutschen Theater irgendwann toll findet. Oder das Hebbel am Ufer Theater. Die müssen mich einladen, und das ist irre teuer. Ich habe das Gefühl, dass ich in virtuellen Welten unabhängiger bin. Es eröffnen sich also neue Bühnen, ein neues Publikum

CCB Magazin:Wie kamst du auf die Idee mit der Berlin School of VR?

Katharina Haverich:Das hat sich natürlich aus meiner Arbeit heraus ergeben. 2018 hatte ich eine Installation gemacht, Sequence of a Horse in Motion, basierend auf einem Traum von mir. Ich habe geträumt, dass ein Mann kopfüber von der Decke hängt, von einem Pferd umkreist und mit einem Tuch umwickelt wird. Das haben wir nachgebaut und live inszeniert. Ein Mann wurde von einer Maschine hochgezogen und von einem Pferd umwickelt. Ich nahm die Performance dann in einem 360-Grad-Video auf und erstellte daraus einen zweiminütigen Videoclip, der auf ein VR-Headset gespielt wurde. Leute aus dem Publikum konnten sich bei mir anmelden; sie wurden in die Maschine eingespannt, hochgezogen, bekamen das Headset auf und wurden digital vom Pferd mit dem Seil eingewickelt. Gleichzeitig wurden sie real mit einem Band umwickelt, man nennt das in VR-Sprache haptisches Feedback. Und so fing ich an, VR für mich zu entdecken.



Erste Experimente mit VR: Haverichs Sequence of a Horse in Motion. Bilder (oben und mittig): Dajana Lothert, Bild (unten): Susanne Dickel

CCB Magazin:Aber der richtige Startschuss für deine Idee kam dann erst durch die Pandemie.

Katharina Haverich:Mit Corona habe ich angefangen, viele meiner Shows in die virtuelle Realität zu verlagern. 2021 habe ich mit meinem Kollegen Roman Miletitch, einem Coder, auf der Social-VR-Plattform VRChat die Welt …dreams about girls gebaut. Für das Projekt habe ich Frauen nach ihren gewaltvollen Träumen gegen Männer befragt. Ich wollte wissen: Was sind Formen von weiblicher Wehrhaftigkeit nach Jahrtausenden Patriachat? Wo geht das Unbewusste hin? Frauen konnten sich bei mir melden und mir ihre Traumsequenzen beschreiben. Aus ihren Beschreibungen habe ich anschließend Sequenzen ihrer Träume in VR nachgebaut. Träume lassen sich ja nur sehr schwer nacherleben. In VR ist das aber sehr gut darstellbar. Seitdem, also seit drei Jahren, waren ungefähr 20.000 Menschen in unserer VR-Welt. In dieser Welt kann man alles machen. Man kann in jeder Gestalt auftreten, klein, groß, als Drache, mit acht Armen oder sechzehn Augen. In virtuellen Welten ist man völlig frei.

CCB Magazin:Wie finden die Leute deine Metaverse-Welt auf VRChat, wie kamen die Leute darauf?

Katharina Haverich:Ein Kollege meinte, dass läge daran, dass ich die Welt …dreams about girls genannt habe und Frauen und Männer wohl dachten, dass dort explizite Situationen nachgestellt sein würden, was nicht der Fall ist. Ich hatte das Projekt nicht beworben. Also wie kommen die Leute da drauf? Wer sind sie? Das finde ich eine interessante Frage. Ich weiß es nicht.

Ich würde gerne eine größere Zielgruppe erreichen. Das können Unternehmen oder Kulturinstitutionen sein , die VR für ihre Zwecke nutzen wollen. Das können aber auch Künstler*innen, Produzent*innen, Kurator*innen oder Dokumentarfilmer*innen sein

CCB Magazin:Oder anders gefragt: Welche neuen Möglichkeiten eröffnet VR Künstler*innen und Kulturschaffenden?

Katharina Haverich:Ich bin als Künstlerin ja immer davon abhängig, dass mich der Intendant vom Deutschen Theater irgendwann toll findet. Oder das Hebbel am Ufer Theater. Oder die Biennale Sonstwo. Die müssen mich einladen, und das ist irre teuer. Ich habe das Gefühl, dass ich in virtuellen Welten unabhängiger bin. Ich war immer freischaffende Künstlerin, und man kriegt auf eine Art immer das gleiche Publikum. Mit VR ändert sich das. Das sind nicht unbedingt Kunst- und Kulturleute, die sich da herumtreiben. Das kann jeder und jede sein, die die technischen Voraussetzungen - Computer oder VR-Headset - besitzen. Es eröffnen sich also neue Bühnen, ein neues Publikum. Hierarchien werden ausgehebelt.

CCB Magazin:Nun sind virtuelle Welten ja nicht unbedingt Orte des Friedens und der Harmonie.  Meta musste sich schon oft mit dem Thema Hass und Hetze auseinandersetzen. Das wird im Metaversum, in welcher Form auch immer, doch vermutlich genauso sein.

Katharina Haverich:Ich finde, Meta hat ein großes Versagen vorzuweisen oder handelt nachlässig mit den sozialen Netzwerken. Aber man steht, ob man will oder nicht, in einer Beziehung zu diesen großen Konzernen, die diese Technologien vorantreiben und weiterentwickeln. Ich frage mich, ob es möglich ist, die Probleme, die wir in der analogen Welt haben, in VR-Welten anders zu behandeln. Wir haben ja alle Möglichkeiten dazu. Zum Beispiel das Thema Rassismus. Oder Frauenfeindlichkeit. Oder Altersdiskriminierung. Im Metaverse könnte das alles anders sein. Das ist auch eine Frage des Designs.

CCB Magazin:Und wie könnte so ein Design aussehen, das Internet-Trollen keinen Raum gibt?

Katharina Haverich:Das untersuche ich mit meinem aktuellen Projekt „Brecht into the Metaverse“. Seit einiger Zeit arbeiten wir an einer virtuellen Theaterbühne in der VR-App VRChat, gefördert vom Medienboard Berlin Brandenburg. Mit einem ziemlich wilden Cast versuchen wir ein Stück von Bertolt Brecht im sogenannten Metaversum zu inszenieren und filmen unsere Erlebnisse.  Wir haben aktuell einen Piloten im Rohschnitt und wollen daraus eine mehrteilige Serie entwickeln.

CCB Magazin:Was wird deiner Meinung nach der größte Nutzen virtueller Welten sein?

Katharina Haverich:Im Metaverse erweitert sich das Spektrum menschlicher Kommunikation. Einerseits denke ich, dass Metaversen zur Zerstreuung und Ablenkung dienen werden. Ich glaube aber auch, dass sehr viele Institutionen Zeit darauf verwenden werden, Schulungen durch VR zu machen. Ich frage mich beispielsweise, ob wir in VR Schulen haben können für Menschen, die keinen oder sehr begrenzten Zugang zu Bildung haben wie Mädchen und Frauen aus Afghanistan. Insgesamt macht die gefühlte physische Ko-Präsenz einen ungemeinen Reiz aus. So sind bei unseren Kursen häufig Menschen aus sehr unterschiedlichen Regionen der Welt anzutreffen: zwar als Avatare, aber hundert Mal spannender als auf Zoom.

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