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„Die Stadt ist eine Differenzmaschine“

„Die Stadt ist eine Differenzmaschine“
Photo: © Anne Schleusner

Bild aus der neuesten Ausgabe "Grauzonen" von Stadtaspekte. Anne Schleusner war mehrere Tage in Wittenberge, um die Menschen und ihre Geschichten kennenzulernen. Die Wittenberger begegneten ihr "freundlich, aber scheu". Sie nannte das Projekt "Eine Kleinstadt voller Rehe". 

Stadtaspekte ist ein neues Magazin mit Sitz in Berlin, das sich Diskursen rund um Stadt und Stadtentwicklung widmet. Die neueste und zweite Ausgabe lautet „Grauzonen“. Was meint Grauzonen im städtischen Kontext? Wer plant Stadt wie und warum? Creative City Berlin traf zwei der Macher(innen) des Magazins - Sebastian Schlüter und Carolin Genz.

 

Interview Jens Thomas

 

CCB Magazin: Hallo, wir sitzen hier mitten an der Spree mit Blick auf die O2-Arena. Ihre neueste Ausgabe heißt „Grauzonen“. Was meinen Sie mit „Grauzonen“ im städtischen Kontext?

Sebastian Schlüter: Grauzone, weil Stadt nicht nur da entsteht, wo das Offizielle und Regelhafte ist, sondern Stadt auch von unten gemacht wird. Wir wollen in dieser Ausgabe solche Aspekte beleuchten, wie Stadt auch kulturell "von unten" entstehen kann.

CCB Magazin:Wie entsteht Stadt kulturell von unten?

Sebastian Schlüter: Die Architektin Saskie Hebert hat das klug auf den Punkt gebracht: „Stadt ist kein Konsensmodell, sondern eine Differenzmaschine“. Das heißt, Stadt ist auch nichts Feststehendes, was von oben regelhaftig produziert werden kann und so bleibt, Stadt verändert sich  - täglich. Durch die Menschen, durch Prozesse. Stadt ist nichts Verlässliches, was sich elitär organisieren und gestalten lässt.

CCB Magazin:Aber braucht nicht gerade Stadtplanung und -gestaltung ganz klare Regeln, damit planerische Vorhaben nicht im Chaos enden?

Sebastian Schlüter: Stadtgestaltung braucht Zuverlässigkeit, ja, man muss sich auf etwas verlassen können. Gleichzeitig zeigt sich, dass Stadtraum nicht einmal geplant werden und so bleiben kann, das zeigt sich ja gerade auch hier in Berlin. Darum entstehen Initiativen wie die Bürgerplattform „Wir in Neukölln“, eine von mittlerweile drei Bürgerinitiativen in diesem Kontext in der Stadt, die über eigene Kraft versucht, in den Stadtgestaltungsprozess einzugreifen. Ich finde auch, dass Politik nicht primär Stadtgestalter sein sollte, sie sollte vielmehr andere dazu befähigen, Stadt gestalten zu können.

8 Freunde sollt ihr sein: das Stadtaspekte-Team im Überblick.

CCB Magazin:Der Schwerpunkt Ihrer Ausgabe liegt auf der partizipativen Stadtplanung: Was meint "partizipative Stadtgestaltung" für Sie?

Sebastian Schlüter: Der Untertitel unsere Ausgabe lautet „Ordnungen jenseits von Regeln“. Ordnungen etablieren sich in der Stadt über Nutzung und den Alltag, daraus entstehen Regelhaftigkeiten. Die Veränderbarkeit von Stadt kann aber auch bottum-up geschehen, durch Partizipation von unten. Diesen Aspekten wollen wir uns widmen.

Carolin Genz: Es gibt eine Diskrepanz in der Stadtgestaltung und -planung zwischen einem geplanten und gelebten Raum. Der gelebte Raum funktioniert eben nicht eins zu eins mit dem geplanten Raum. Unser Heft will genau dieses Spannungsfeld beleuchten. Wir wollen damit keine Stadtplanung betreiben. Das Heft versteht sich als Plattform, um denjenigen eine Stimme zu geben, durch die Stadt erst gemacht wird: den Bewohnern und Bewohnerinnen der Stadt. Wir schaffen damit Raum für bestimmte und nahbare Perspektiven und wollen aufzeigen, wie Interaktionen zwischen den verschiedenen Interessengruppen innerhalb städtischer Kontexte funktionieren oder nicht funktionieren.

Stadtplanung hat oft eine ganz klare, zu klare Vorstellung, wie der öffentliche Raum aussehen und funktionieren soll, das heißt aber nicht, dass es funktioniert

CCB Magazin:Lassen Sie uns einmal konkret werden: Wie können Interaktionen zwischen den verschiedenen Interessengruppen in einer Stadt funktionieren?

Carolin Genz:„Replanning Moskau“ ist ein sehr schönes Beispiel aus unserem neuen Heft. Hier geht es um die Frage, wer eigentlich sein Recht auf vakanten Raum in der Stadt behauptet kann. Die Partizanen in Moskau verlängern ihr Wohnzimmer in den öffentlichen Raum und nehmen die Gestaltung selbst in die Hand, wo Behörden dieser Pflicht nicht mehr nachkommen. Damit gestalten sie in ihrer Stadt den öffentlichen Raum, sodass er nutzbar wird. Stadtplanung hat oft eine ganz klare, zu klare Vorstellung, wie der öffentliche Raum aussehen und funktionieren soll, das heißt aber nicht, dass es funktioniert.

CCB Magazin:Große Vorhaben, komplexe Prozesse. Die Bürger wollen heute mehr mitentscheiden bei Planungsvorhaben, das Misstrauen gegenüber der Politik treibt sie an, zugleich divergieren heute eine Vielzahl an Meinungen und Initiativen, die sich nur schwer unter einen Hut bringen lassen. Der Politologe Franz Walter kommt in seiner Studie über die ‚neue Bürgermacht‘ zu folgendem Schluss: "Eine große Gefahr bei Bürgerbeteiligung besteht darin, dass sich die Politik das heraus sucht, was sie hören will und die Bürger auch darauf reagieren". Zugleich würden sich die "bürgerlichen Eliten" durchsetzen, was mit einem "mehr an Demokratie und mehr an Partizipation nicht wirklich etwas zu tun hat." Nicht das Gemeinwohl, sondern die Interessen einzelner Gruppen setzen sich durch. Wie ist eine partizipative Stadtgestaltung dann im Sinne vieler möglich?

Carolin Genz:Das ist eine schwierige Frage, da gibt es auch keine klare Antwort drauf. Derzeitig beschäftigen sich viele kommunale Forschungsinstitute mit der Frage nach Partizipation von Bürgern und Bürgerinnen in der Stadtentwicklung. Eine Frage, die sich in meinen Augen im Spannungsfeld zwischen urbaner Revolution und urbaner Utopie bewegt. Doch bleibt am Ende die Frage offen: Ist eine 100prozentige Partizipation an Stadtgestaltungsprozessen überhaupt möglich oder nötig?

CCB Magazin:Bitte, nun können Sie Antworten geben.

Carolin Genz: Das kann nicht mit einer Antwort gelöst oder auf eine Phrase runtergebrochen werden. Denn wie sollen so viele Interessen auf einen Nenner kommen können? So etwas verlangt Weitsicht und Offenheit aller Parteien, wovon wir noch weit entfernt sind. Wir müssen uns vermutlich kleinteilig einzelnen Prozessen und Konfliktfeldern nähern. Je kleiner der Rahmen, desto besser und zielorientierter der Lösungsansatz.

Es ist Aufgabe von Politik, die Vielfalt im städtischen Kontext zu gestalten

CCB Magazin:Das hieße, wir müssen Beteiligungen im städtischen Kontext stärker regionalisieren?

Sebastian Schlüter:Ja, so sind komplexe Vorgänge zumindest überschaubarer, und gerade die Leute vor Ort wissen, was für sie am besten ist. Politik hat dann die Aufgabe, die Meinungen der Bürger zu hören und Initiativen vor Ort zu unterstützen.

CCB Magazin:Stadtplanungsvorhaben von Seiten der Politik sind aber immer auch ökonomischer Natur. Antonia Levy schreibt in Ihrem Buch „Partizipation in der Stadtplanung: Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes neuer Medien: „Stadtplanung ist gleich Sozialplanung, Finanzplanung und Investitionsplanung“: Wie kann Stadtplanung also partizipativ gestaltet werden, sodass einerseits Wachstum möglich ist, zugleich Verdrängungseffekte ausbleiben?

Carolin Genz:Das Berliner Spreeufer ist dafür exemplarisch. Das Projekt „Holzmarkt“ auf dem ehemaligen Gelände der Bar 25 versucht sich als Beispiel alternativer Nutzung – auf dem ehemaligen Gelände entsteht ein Areal mit Restaurants, Hotel, Technologie- und Gründerzentrum, Friseur, Bäcker, Bioladen. Ein Versuch, alternative Nutzungen entgegen teurer Bürokomplexe oder Luxuswohnhäuser am Spreeufer zu schaffen. Ob das „partizipativ“ gestaltet ist, bleibt fragwürdig. So stehen die Betreiber in der Kritik, das Spreeufer kapitalistisch zu verwerten. Es bleibt also die Diskrepanz zwischen der Idee einer sozial gerechten Nutzung und dem Bedarf einer kapital-verwertenden Planung von städtischen Räumen.

Sebastian Schlüter:Berlin ist ein gutes Beispiel dafür, dass stadtpolitisch versucht wird, eine Mischung aus Sozialem und Ökonomischem hinzubekommen. Es ist ja Aufgabe von Politik, die Vielfalt im städtischen Kontext zu gestalten. Wenn man Gegenden ökonomisiert, muss es zugleich Entlastungsorte geben, die hier einen Ausgleich schaffen, sonst ist die soziale Stadt als solche gefährdet. Berlin ist weder eine rein auf Wachstum orientierte Wirtschaftsmetropole, noch nur ein Ökotop für Alteingesessene.

CCB Magazin:Sie sind ein neues Magazin aus Berlin, haben aber keinen Berlin-Fokus. Was macht Berlin für Sie dennoch als Standort aus?

Carolin Genz: Der Standort Berlin ist natürlich für unser Magazin sehr gut, unsere Netzwerke sind hier, wir haben die erste Ausgabe über das Crowdfunding finanziert. Ohne diese Basics und die Unterstützung aus der Stadt hätten wir nicht starten können.

Sebastian Schlüter:Berlin ist ja noch immer ein riesen Spielplatz, aber er wird kleiner. Der Sand wird in letzter Zeit stärker zusammengekehrt, wenngleich die Freiräume noch immer einmalig sind. Diese Freiräume zu erhalten, das sollte letztendlich Aufgabe von allen sein.

CCB Magazin:Vielen Dank für dieses Gespräch.


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