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Denise Linke: "Hier geht es nicht um Gleichmacherei"

Denise Linke: "Hier geht es nicht um Gleichmacherei"
Photo: © privat

Im Gespräch mit Creative City Berlin: Denise Linke, Chefredakteurin von N#mmer, dem ersten Magazin für Autisten und ADHS-ler in Deutschland. "Hier geht es nicht um Gleichmacherei, sondern um das Wissen um die Unterschiede und die Erkenntnis, dass jeder bei irgendetwas einmal Hilfe braucht".

Denise Linke ist 25 Jahre, sie ist Asperger-Autistin und will mit N#mmer das erste Magazin für Autisten und ADHS-ler in Deutschland herausbringen – finanziert über Crowdfunding.  Kann das funktionieren? Wir sprachen mit ihr.
 

INTERVIEW   JENS THOMAS



CCB Magazin: Hallo Denise, wir haben lange überlegt, mit welcher Frage wir in dieses Interview einsteigen können, ohne Klischees zu bedienen. Du planst ein Magazin für Autisten. Das ist sehr speziell. Wie oft bist du in letzter Zeit auf Unverständnis gestoßen, wenn du erzählt hast, dass du ein Magazin für Autisten herausbringen willst?

Denise Linke: Ehrlich gesagt, überraschend selten. Die meisten Autisten und AD(H)Sler, mit denen ich bislang darüber gesprochen habe, freuen sich sehr darüber. Und die, die dem skeptisch gegenüber stehen, haben bestimmt Angst davor, dass wir ein fehlgeleitetes Bild von Autismus verbreiten könnten und ihre Situation noch schlimmer machen. Das wollen und das werden wir aber nicht.

CCB Magazin: Was willst du aufzeigen in deinem neuen Magazin für Autisten, N#mmer?

Denise Linke:Ich möchte erreichen, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleich behandelt werden – und mit „gleich“ meine ich keine Einheitsbehandlung für alle. Mein Wunsch ist es, dass wir uns alle mit Respekt und Hilfsbereitschaft begegnen. Ein Beispiel:  Vor kurzem war ich auf einem Sommercamp für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung. Wir waren ein bunter Haufen aus Rollstuhlfahrern, Blinden, Autisten, Menschen mit Glasknochen, Lernbehinderung oder Down Syndrom und vollkommen „normalen“ Leuten. Am auffälligsten war, dass es kein „normal“ gab. Es gab auch keine „Klassengesellschaft“. Wenn ein Mensch Hilfe brauchte, wurde ihm vollkommen natürlich geholfen und es war auch unerheblich, ob er eine Behinderung hat oder nicht. Dahin will ich. Und dahin können wir nur kommen, wenn wir die Angst vor Rollstühlen, Blindenstöcken und Nonverbalen abbauen.

CCB Magazin: Wie bist du überhaupt darauf gekommen, ein Magazin für Autisten und ADHS-ler herauszubringen?

Denise Linke:Weil ich selber gern eins lesen wollte, aber keins gefunden habe. Das hat mich geärgert. Da habe ich mir gedacht: Ich mache es einfach selber.

Das Social Media Cover von N#mmer: Grell, blumig, kaffeelastig. Foto: Denise Linke.

CCB Magazin: Wie kann man sich das vorstellen? Arbeiten bei dir Autisten und Nicht-Autisten zusammen? Hast du ein Team? Sitzen die Autoren gemeinsam am Redaktionstisch und beratschlagen sich über die Ausrichtung und Themenfindung des Magazins?

Denise Linke:Ganz so ist es nicht. Wir sind ungefähr 30 Menschen, die an N#MMER zusammenarbeiten. Einige von uns sitzen, wie ich, in Berlin, wir sind aber in ganz Deutschland verstreut. Viel Kommunikation läuft also per Mail oder telefonisch. Bei mir laufen alle Fäden zusammen. Aber wer weiß, wenn wir irgendwann einmal genug Geld für Redaktionsräume zusammen haben, werden wir auch am Redaktionstisch sitzen.

Inklusion erreicht man, indem Unterschiede sichtbar werden

CCB Magazin: Siehst du dein Magazin als Beitrag zur mehr Inklusion? Oder besteht  die Gefahr, dass Unterschiede durch den Schwerpunkt auf Autismus betont und damit hervorgehoben werden?

Nein, das denke ich nicht. Inklusion erreicht man, indem Unterschiede sichtbar werden. Und ja, ich sehe mein Magazin als Beitrag zu mehr Inklusion. Bei uns schreiben ja nicht nur Autisten, sondern auch „Astronauten“, also Nicht-Autisten. Hier geht es auch nicht um Gleichmacherei. Inklusion ist keine Gleichmacherei, sondern das Wissen um Unterschiede und die Erkenntnis, dass jeder bei irgendetwas Hilfe braucht. Und wenn wir wissen wobei,  können wir uns auch besser gegenseitig unter die Arme greifen und verlieren die Angst vor dem Unbekannten.

CCB Magazin: Aber gibt es eine besondere Herangehensweise? Was macht den Unterschied aus zwischen einem Magazin von Autisten (auch) für Autisten und einem von Nicht-Autisten für eine spezielle Zielgruppe? Gibt es Unterschiede in der Themenwahl? Wirst du die Themen anders aufbereiten?

Denise Linke:Natürlich werde ich das. Viele der Artikel werden sich eng um Autismus und AD(H)S drehen. Und wir nehmen auch einen anderen Blickwinkel ein: So lautet das Thema unserer ersten Ausgabe „Liebe und Beziehungen“. Das ist ein Thema, dass man erst einmal von Autisten für Autisten gar nicht erwartet. Viele denken, die können gar nicht lieben, dabei sind wir genauso empathische, menschliche Wesen, die lieben und leiden, so wie jeder andere Mensch auch, nur eben mit Eigenheiten, das ist aber auch was Besonderes. Und das soll im Magazin zum Ausdruck kommen. Kürzer müssen spannende Artikel nicht sein. Autisten und AD(H)Sler können sich auf spannende Themen sehr gut konzentrieren. Bei der Auswahl des Papiers hat die Zielgruppe auch eine Rolle gespielt. Es sollte weder zu dünn, noch zu rau sein und nicht stark riechen. Außerdem versuchen wir uns mit grellen Farben zurückzuhalten. Das war eine Kritik der Community an unserem ersten Cover.

CCB Magazin: Wie willst du das Thema Liebe in deiner ersten Ausgabe aufarbeiten?

Denise Linke:Von sehr vielen Seiten: Wir planen zum Beispiel einen großen Artikel zu romantischer Liebe, eine Reportage zu Eltern-Kind-Beziehungen, ein Bericht über Liebe zu sich selbst, ein Gespräch und eine Fotostrecke zum Thema BDSM. Außerdem haben wir Interviews mit Sascha Lobo und Temple Grandin geführt, ein weiteres Interview mit Andrew Solomon ist angesetzt. Es gibt auch Artikel zur Ursachenforschung, zu ABA, dem Klinefeltersyndrom und eventueller Komorbidität und noch viele weitere spannende Artikel. Unser Korrespondent berichtet uns aus den USA und sogar eine Fotolovestory wird im Heft sein. 

Ich nehme die Welt ungefilterter als andere wahr

CCB Magazin: Du bist selbst Asperger-Autistin. Kannst du kurz beschreiben, wie die Welt auf dich einwirkt, wie du mit Einflüssen von außen umgehst und sich das auf deine Arbeit auswirkt?

Denise Linke:Ich nehme die Welt ungefilterter wahr. Das heißt, es ist immer heller, lauter - die Musik im Café, das Gespräch am Nebentisch, das Auto, das vor dem Fenster vorbeifährt. Meine Sinne vermischen sich: Wenn es sehr hell ist, ist es für mich gleichzeitig sehr laut. So trage ich oft eine Sonnenbrille, wenn es leicht bewölkt ist. Und wenn ich unter Leuten bin, muss ich mich extrem konzentrieren und auch meine Mimik kontrollieren. Ich habe meine Diagnose ja erst sehr spät bekommen, mit 22 Jahren. Heute gehe ich sehr offen damit um und erzähle früh davon, wenn ich jemanden kennenlerne. Das hilft mir und den anderen, wenn ich sagen kann: "Ich habe Asperger, deswegen bin ich manchmal ein bisschen komisch."

CCB Magazin: Glaubst du, dass du dauerhaft eine Leserschaft an dich binden kannst? Der Zeitungs- und Magazin-Markt ist derzeit hart umkämpft. Gefragt sind vor allem Schwerpunkte und Nischen. Ein Magazin für Autisten ist zweifelsohne eine Nische. Wird diese Nische langfristig gefragt sein oder ist die Ausrichtung des Magazins doch zu speziell?

Denise Linke:Ob es für N#MMER genug Leser gibt wird, wird die Zeit zeigen. In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge2 Millionen Menschen, die ADHS oder eine Form von Autismus haben. Sicher wird sich nicht jeder von ihnen gleich ein solches Magazin kaufen. Ich denke aber, dass vor allem Eltern, Freunde und Leute, die sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt haben, interessiert sein könnten. Auch, weil ich bei den bisher knapp über 500 Bestellungen schon eine starke Durchmischung in der Leserschaft sehe.

CCB Magazin: Du willst die erste Ausgabe über Crowdfunding finanzieren. Über startnext hast du die Fundingschwelle von 10.000 Euro bereits erreicht. Warum hast du dich für Crowdfunding entschieden?

Denise Linke:Ich hatte schlicht und ergreifend kein Geld und wollte unabhängig bleiben. Werbung oder ein Verlag hätten mich sehr eingeschränkt. Zwar kann man uns als Unternehmen unterstützen und auch Werbung kaufen, wir prüfen jedoch sehr sorgfältig mit wem wir uns einlassen, wem wir eine Seite verkaufen und sind in der Gestaltung komplett ungebunden. Wir sind nur unseren Lesern verpflichtet, und das gern.


Das Cover zur ersten Ausgabe: Liebesaus für Eilige. Quelle: Denise Link.

CCB Magazin: Was ist für dich das Besondere am Crowdfunding?

Denise Linke:Das Besondere ist definitiv das Gefühl, etwas gemeinsam zu schaffen. Das sind nicht mein Magazin und mein Erfolg, es sind unser Magazin und unser Erfolg.  Auch das Vertrauen der Menschen, die teilweise sehr viel Geld investiert haben, ist sehr bewegend. Und mit „viel“ meine ich gar nicht mal große Summen. Ich meine Menschen, die mehr gegeben haben als sie eigentlich können, weil sie es unbedingt wollten. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Dieses Gefühl überwiegt alles.

CCB Magazin: Wer waren deine Unterstützer und wie hast du sie erreicht?

Denise Linke:Ich wünschte, ich würde alle meine Unterstützer kennen. Leider kenne ich nur einen Bruchteil. Wir haben die meiste Werbung über Social Media gemacht und ich denke, dass unsere meisten Unterstützer über Facebook und Twitter zu uns gefunden haben. Auf diesen Kanälen wollen wir auch weiterhin in engem Kontakt mit den Lesern bleiben.

CCB Magazin: Crowdfunding lebt von der Kommunikation im Netz und von Unterstützung. Autisten leben oft zurückgezogen. Hat sich das bei deiner Crowdfunding-Kampagne bemerkbar gemacht?  Oder war es gar ein Vorteil, dass du über das Netz nicht face-to-face kommunizieren musstest?

Denise Linke:Ja, das war definitiv ein Vorteil. Obwohl ich mittlerweile auch recht gut dazu in der Lage bin, Treffen in der „echten Welt“ zu überstehen - ich hätte allerdings eventuell ein Problem mit der schieren Masse an Treffen bekommen, wären sie alle echt, also face-to-face und greifbar gewesen. Ich bin aber noch lange nicht an meine Grenzen gestoßen. Und wenn man weiß, wofür man das alles macht, ist es umso leichter.

CCB Magazin: Du hast 10.824 Euro über das Crowdfunding eingenommen.  Was willst und kannst du alles über diesen Betrag finanzieren?

Denise Linke:Ich werde damit alles finanzieren, was ich versprochen habe: Das Magazin – also die Redakteure, den Druck, die Grafiker - und auch den Versand und eine Releaseparty.

CCB Magazin: Die 10.824 Euro reichen aber nicht für mehrere Ausgaben. Wie viele Ausgaben  planst  du und wie geht es weiter?

Denise Linke:Wir müssen jetzt erst mal schauen, wie weit wir mit diesem Geld kommen. Für eine Ausgabe reicht es definitiv. Vielleicht ist es auch möglich, eine zweite Ausgabe darüber zu finanzieren, wenn wir alle Hefte verkaufen. Die nächsten zwei Ausgaben sind zu den Themen „Schule, Studium und Arbeit“ und „Medien“ geplant. Darauf freue ich mich schon jetzt. Jetzt gehen wir aber erst einmal in die Vollen. Die Produktion läuft bereits seit Monaten, wir geben jetzt Gas, um das Layout fertigzustellen, die Texte zu redigieren und noch einige schreiben zu lassen. Außerdem sind wir Mitte September beim One Spark Crowdfunding-Festival in Berlin dabei und dürfen auf weitere Unterstützung hoffen.

CCB Magazin: Denise, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

 

Category: Innovation & Vision

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