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Mareike Lemme und Marlene Lerch: „In Schöneweide sind richtig dicke Bretter zu bohren!“

Mareike Lemme und Marlene Lerch: „In Schöneweide sind richtig dicke Bretter zu bohren!“
Photo: © Schöneweide Kreativ 

Schöneweide kommt. Und wir kommen nach Schöneweide - zu Mareike Lemme und Marlene Lerch. Vor drei Jahren initiierten die beiden Schöneweide Kreativ – die Vernetzungsplattform für Künstler und Kreativschaffende in Schöneweide. Einst als Nazi-Stadtteil verschrien, zieht es heute immer mehr Künstler in den Stadtteil im Bezirk Treptow-Köpenick - mehr als 600 Unternehmen und Vertreter der kreativen Branchen sind mittlerweile vor Ort, selbst Bryan Adams ist da. Mit welchen Zielen geht man als Kulturschaffender nach Schöneweide? Vor welchen Herausforderungen steht der Stadtteil und wird Schöneweide am Ende gar das neue Silicon Weide an der Spree? Ein Gespräch über eroberte Sparkassen-Filialen im Herzen des Bezirks, Liebe auf den zweiten Blick und neue Herausforderungen am Rande der Stadt.

 

INTERVIEW   JENS THOMAS

 

 CCB Magazin: Hallo Mareike und Marlene, ihr beide baut gerade Schöneweide Kreativ weiter auf, die Anlaufstelle und Vernetzungsplattform für Kreativschaffende in Berlin-Schöneweide. Wie kreativ findet ihr es eigentlich hier in Schöneweide?

Marlene & Mareike: Oh, sehr kreativ. Es gibt hier noch den Freiraum, der das kreative Flair Berlins ausmacht, der an vielen anderen Orten der Stadt immer kleiner wird. Schöneweide weist eine Historie mit vielen Brüchen auf: Nach dem Ende der DDR brachen zunächst die traditionsreichen Berliner Industriebetriebe in Schöneweide zusammen – nur der südkoreanische Industriegigant Samsung betrieb in Oberschöneweide noch bis Ende 2005 einen Produktionsstandort für Bildschirm- und Mobilfunkgeräte. Ab 2006 kam die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) hierher. Heute sind viele KünstlerInnen und UnternehmerInnen der Kreativwirtschaftsbranchen in Schöneweide angesiedelt. In Schöneweide gibt es noch Gestaltungspielraum, der attraktiv ist, auch und besonders für Kreative.

CCB Magazin:Schöneweide war lange Zeit verschrien als rechter brauner Fleck auf der Landkarte Berlins. Wie kam es zu diesem Wandel, dass Schöneweide plötzlich auch Anziehungspunkt für Kunst- und Kulturschaffende wurde?

Marlene & Mareike:Ich würde sagen, Kunst und Kultur haben in Schöneweide schon lange einen festen Platz. Nur haben die Medien jahrelang fast ausschließlich die Naziproblematik im Stadtteil thematisiert, was zur Stigmatisierung von Schöneweide beitrug. Die Kreativen waren nicht auf den ersten Blick sichtbar. Heute erobern viele Initiativen aus Kooperationen diesen Raum wieder zurück: freie Läden auf der Brückenstraße sind entstanden, wo ehemalige rechte Treffpunkte wie der Henker, das Hexogen & Co. ihre Felder geräumt haben. Dadurch sind Freiflächen entstanden, die man zum Teil noch zu ganz vernünftigen Preisen mieten kann, weil die Eigentümer Wert auf einen Imagewandel legen und verhandlungsbereit sind.

Künstler und Kreativschaffende wollen in Schöneweide in erster Linie in Ruhe arbeiten, nicht ihre Arbeit präsentieren

CCB Magazin:Warum gehen Künstler und Kreativschaffende denn nach Schöneweide?

Marlene & Mareike:In erster Linie wegen des Leerstands und der vergleichsweise noch günstigen Mieten – neben der Qualität als ruhiger Arbeitsort in schöner Lage an der Spree. Das Besondere in Schöneweide ist ja: Künstler und Kreativschaffende wollen hier in erster Linie in Ruhe arbeiten, nicht ihre Arbeit präsentieren. Das ist in Friedrichshain oder Kreuzberg genau umgekehrt. Dort leben Künstler und wollen ihre Arbeiten auch dort zeigen. Manche haben den Standort Schöneweide bewusst gewählt, weil er gute Produktionsbedingungen – so zum Beispiel Kooperationspotenzial mit ansässigen Handwerksunternehmen oder der Hochschule – bietet. Andere hat es mehr oder weniger zufällig hierher verschlagen. 

CCB Magazin:Aber auch in Schöneweide wird Wohn- und Produktionsraum knapper.

Marlene & Mareike:Ja, auch hier ist es nicht mehr ganz so einfach, ein Atelier zu finden. Wenn jemand aber eine große, sanierungsbedürftige Fabrikhalle sucht und das entsprechende Investitionskapital mitbringt, wird er möglicherweise fündig.

CCB Magazin:Auch Bryan Adams ist kürzlich in Schöneweide fündig geworden. Er hat sich eine Industriehalle gekauft und will dort ein Kulturzentrum eröffnen, geplant sind Musikstudios und Künstler-Ateliers. Hat er sich denn schon mal bei euch gemeldet? 

Marlene & Mareike:Bryan Adams? Haha, nein. Der wurde zwar vor einem Jahr des Öfteren hier gesehen, Frauen jeder Altersklasse zeigten sich beeindruckt. Wir haben ihn aber noch nicht zu Gesicht bekommen.

CCB Magazin:Auch das Kiki Blofeld, einst eine wunderschöne Strandbar ansässig an der Spree in Kreuzberg, schlug im letzten Jahr in Schöneweide die Zelte auf, hat sich nun aber wieder vom Acker gemacht.  

Marlene & Mareike:Ja, das mit dem Kiki Blofeld ist wirklich schade, irgendwie lief das nicht so an, wie man es sich erhofft hatte. Der Club war auch baurechtlich nur geduldet, das heißt, das Projekt war erstmal zeitlich nur befristet. Nicht alles funktioniert in Schöneweide. Vielen ist Schöneweide auch einfach zu weit ab vom Schuss. Obwohl das nicht stimmt: Man kommt von Neukölln oder Treptow sogar mit einem Kurzstrecken-Ticket nach Schöneweide.

CCB Magazin:Ihr beiden, sagt doch mal: Welche Künstler und Unternehmen sind hier mittlerweile vor Ort? Und mit welchen Fragen kommen sie auf euch als Netzwerk zu? 

Marlene & Mareike:Unser Verteiler umfasst inzwischen mehr als 600 ansässige Unternehmen und Vertreter der kreativen Branchen – und der ist definitiv nicht vollständig. Etwa die Hälfte davon sind Bildende Künstler, gefolgt von Designern – zirka 150 Kommunikations-, Mode- und Produktdesigner. Zum Vergleich: In ganz Berlin arbeiten heute bis zu 30.000 Unternehmen und 190.000 Beschäftigte in der Kreativwirtschaft. Besondere Impulse gehen in Schöneweide mittlerweile von der seit 2006 ansässigen HTW Berlin vom Studiengang Gestaltung am „Campus Wilhelminenhof“ aus. Damals waren es an der HTW rund 800 Studenten, inzwischen sind es 9.000 aus über 100 Nationen. Auch die Musik-, Film- und Rundfunkwirtschaft ist am Standort vertreten – viele Unternehmen aus diesem Bereich sitzen im Funkhaus Nalepastraße, zugleich ist das ehemalige Rundfunkzentrum der DDR in den letzten drei bis vier Jahren neue ‚Heimat‘ einer internationalen Künstlercommunity geworden. Das Schöne an Schöneweide ist, dass hier sowohl einige wenige etablierte Unternehmen, als auch viele neue Start-Ups, Einzelunternehmer und Freiberufler sitzen. Und genauso bunt sind auch die Anliegen, mit denen Künstler und Unternehmen an uns herantreten. Die Anliegen haben sich in den letzten vier Jahren aber, seitdem wir hier vor Ort tätig sind, stark verändert. 

CCB Magazin:Inwiefern?

Marlene & Mareike:Am Anfang stand der Wunsch nach mehr Austausch untereinander und Kollaboration im Vordergrund, das negative Schöneweide-Image nervte, die weichen Standortbedingungen ließen stark zu wünschen übrig. Man wünschte sich mehr Präsenz im Stadtteil und mehr Raum, eine Repräsentanz. Entlang dieser Bedarfe entwickelten wir ja das EU-geförderte (ESF) Netzwerkprojekt Schöneweide Kreativ, das auch Professionalisierungsangebote für Kreativschaffende beinhaltet, um die noch junge Branche am Standort zu unterstützen. Inzwischen hat sich in punkto Vernetzung, Sichtbarkeit und Standortimage schon vieles positiv entwickelt. Heute geht es den Kreativschaffenden vermehrt um Professionalisierung. Darum haben wir kürzlich eine Experten- und Fortbildungsreihe gestartet, die an den spezifischen Bedarfen der lokal ansässigen Künstler und Kreativunternehmer ansetzt – in Form von Vorträgen, Workshops, Coachings.

Projekt "Macht Geld" in Schöneweide: "Schöneweide könnte als kreativer Produktionsort für ganz Berlin eine Entlastungsfunktion haben!" Foto: Schöneweide Kreativ.

CCB Magazin:Was genau brauchen Kreativschaffende in Schöneweide und was gebt ihr den Leuten mit auf den Weg?

Marlene & Mareike:Kreativschaffende brauchen neben Räumlichkeiten und Beratungen zum Unternehmertum vor allem gezielte Informationen zu passenden Kooperationspartnern, lokalen Produktionsbedingungen und zu Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten. Über all das informieren wir als Anlaufstelle, indem wir Beratungen anbieten, Workshops organisieren oder weiter vermitteln. Außerdem haben wir mit dem „Schalterraum“, der Projektgalerie für Kunst, Arbeit und Geld in einer ehemaligen Sparkassen-Filiale, eine Repräsentanz der kreativen Szene im Stadtraum geschaffen. Der Galeriebetrieb in Schöneweide ist eine echte Herausforderung! Aber der Diskurs um die Themen Kunst, Arbeit und Geld ist eine interessante Spielwiese und ermöglicht Kontroversen, das macht voll Spaß! Zudem haben wir verschiedene Netzwerkformate entwickelt, so etwa den tatORT als Schöneweider Lokalkrimi, der monatlich einen kreativen Ort und seine Macher vorstellt. Ein wichtiger Baustein ist neben der Vernetzung nach innen ganz klar eine übergeordnete Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung mit anderen Initiativen in Berlin und darüber hinaus, zum Beispiel mit dem Kompetenzzentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, dem Kulturförderpunkt Berlin und ganz aktuell CREATE BERLIN.

In Schöneweide kann man noch neue Wege gehen

CCB Magazin:Ihr seid nun seit vier Jahren hier. Vor welchen Herausforderungen steht der Kiez gegenwärtig durch den Zuzug von Künstlern und Kulturschaffenden?

Marlene & Mareike:In Schöneweide kann man noch neue Wege gehen, um eine langfristig stabile und authentische Nutzungsmischung zu erreichen, bei der Kreative nicht nur eine Aufwärmfunktion haben. Schöneweide könnte als kreativer Produktionsort für ganz Berlin eine Entlastungsfunktion haben! Wichtig dafür ist, an einem Strang zu ziehen und in Gemeinschaft zu agieren, um auch zum Beispiel genossenschaftliche Konzepte umzusetzen. Vor allem in punkto Immobilienentwicklung sind hier noch richtig dicke Bretter zu bohren. Denn bislang gibt es im Gewerbebestand noch keine Verdrängung in Schöneweide, sondern viel mehr die Herausforderung, die vorhandenen Raumpotenziale u.a. auch für Kreative zu erschließen und langfristig zu sichern.

CCB Magazin:Aber wie lange wird es dauern, bis auch hier die Verdrängung einsetzt?

Marlene & Mareike:Bestenfalls passiert das gar nicht.

CCB Magazin:Schöneweide wird aber durch den Zuzug von Kreativen eine Aufwertung erfahren, auch durch eure Arbeit.

Marlene & Mareike:Überall, wo es schöner wird, wachsen auch die Begehrlichkeiten und Verwertungsinteressen. Trotzdem wollen wir unsere Stadt nicht zu einer lebensfeindlichen Wüste entwickeln, nur damit die Yuppies nicht kommen. Unsere Arbeit soll dazu einen Gegenpol darstellen. Es geht uns darum, stabile, gut vernetzte und integrative Strukturen zu schaffen, die sich nicht so leicht verdrängen lassen. Positiv in Schöneweide ist, dass die ehemaligen Industriestrukturen einer Verloftisierung und Umwandlung in Luxuswohnungen entgegenwirken. Auf der anderen Seite haben wir die Eigentümerstruktur des Wohngebiets mit einem hohen Anteil in kommunalem und genossenschaftlichem Besitz, wodurch auch eine soziale Wohnungspolitik möglich ist.

"Die Attraktivität Schöneweides wird weiter zunehmen." Foto: Schöneweide Kreativ.

CCB Magazin:Mareike und Marlene, wenn ihr in die Zukunft blickt: Wie wird sich Schöneweide weiter verändern und was wünscht ihr euch in der Zukunft für eure Arbeit?

Marlene & Mareike:Die Attraktivität Schöneweides wird weiter zunehmen. Anfangs war Schöneweide für viele nur eine Liebe auf den zweiten Blick, mittlerweile rennen uns die Leute die Türen ein. Unser EU-gefördertes Projekt läuft aber nach nur knapp zwei Jahren Förderung Ende Juli 2015 aus. Auch durch den Wechsel der EU-Förderperioden ist eine direkte Anschlussförderung bislang nicht in Sicht. Fraglich ist in dem Kontext auch, inwieweit Schöneweide von weiteren öffentlichen Geldern profitieren wird, da seit der Wende bereits viele Fördermittel in den Stadtteil geflossen sind. Für die Etablierung von Schöneweide als Kreativstandort braucht es auf jeden Fall noch einer längerfristigen Begleitung, Vernetzungs- und Aufbauarbeit, auch um selbsttragende Strukturen zu schaffen. Kontinuität und ein oftmals langer Atem sind wichtig in solchen Entwicklungsprozessen – die Lücke sollte also auf keinen Fall zu lang sein, damit nicht das zusammenbricht, was in ambitionierter Aufbauarbeit bislang auf den Weg gebracht werden konnte. Dementsprechend wünschen wir uns seitens der Politik ein klares Bekenntnis zum Standort und Unterstützung, um die weitere Vernetzungsarbeit zu finanzieren. Drückt uns die Daumen!

CCB Magazin:Mareike und Marlene, machen wir. Viel Erfolg bei allem, ich fahr jetzt mal wieder mit dem Fahrrad in die Stadt.


Alle Infos zum Netzwerk findet ihr hier: Schöneweide Kreativ

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