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Seneit Debese: "Inklusion kann auch Innovation bedeuten"

Seneit Debese: "Inklusion kann auch Innovation bedeuten"
Photo: © Philip Nürnberger
Im Gespräch mit Creative City Berlin: Seneit Debese. 1999 kam sie nach Berlin, heute leitet sie Greta & Starks.

Seneit Debese hat vor zehn Jahren Greta & Starks gegründet, zwei Apps, die es Blinden und Gehörlosen ermöglicht, ins Kino zu gehen. Für ihre Idee wurde sie durch zahlreiche Programme und Initiativen gefördert. Jetzt ist aus Greta & Starks nur noch Greta geworden. Wo steht das Unternehmen heute?
 

INTERVIEW   Boris Messing    undJens Thomas

 

CCB Magazin: Hallo Seneit. Anfang 2017 haben wir ein Interview mit dir geführt, seitdem ist viel passiert. Erzähl doch bitte noch einmal, wie du zu dem gekommen bist, was du heute machst.

Seneit Debese: Ich komme ursprünglich aus Eritrea und bin in Mannheim aufgewachsen. 1999 kam ich nach Berlin. Eigentlich habe ich BWL studiert. Doch während meines Studiums hatte ich einen Downer: Nur viel Geld verdienen, das war mir zu wenig. Ich wollte unternehmerisch arbeiten, aber auch soziale Probleme lösen; ich wollte mich in die Gesellschaft einbringen. Allerdings hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich einmal Apps entwickeln werde.

CCB Magazin:Du hattest die Idee zu Greta & Starks 2012, nachdem du im Jahr zuvor eine Reportage über die blinde Läuferin Kidisti Weldemichael gedreht hattest. Was war passiert? 

Seneit Debese:Die Reportage über Kidisti Weldemichael war eine Art Schlüsselerlebnis für mich. Es war meine erste Begegnung mit einer blinden Person. Mir wurde plötzlich bewusst, wie schlimm es ist, nicht an etwas teilhaben zu können, woran die allermeisten Menschen teilhaben können. Kidisti Weldemichael war damals 19 Jahre alt. Sie wollte, wie alle ihre Freunde, einfach nur ins Kino gehen. Und als Kinoenthusiastin fand ich, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, ins Kino gehen zu können. Im Kino taucht man in fremde Welten ein. Das hat etwas Magisches. 

In unserer Nische streben wir an, der gemeinnützige Weltmarktführer zu werden. Wir wollen ein globales, starkes und einflussreiches Netzwerk für Teilhabe sein

CCB Magazin:Eure Apps sind bis zu den Corona bedingten Schließungen mehr als eine halbe Million Mal genutzt worden. Heute ist aus Greta & Starks nur noch Greta geworden. Haben sich die beiden nicht mehr vertragen?

Seneit Debese:Quatsch. Wir haben die beiden Apps einfach zusammengeführt. Und wir bieten jetzt auch erste Hörfilme an, das sind große Kinogeschichten zum Mitnehmen. RTL ZWEI und RTL sind zwei Sender, die Greta als Tool für gemeinsames Fernsehen bzw. Streamen in ihr Angebot an blinde und gehörlose Zuschauer integriert haben. Dabei werden Serien wie z.B. “Faking Hitler” erstmalig auch mit Audiodeskription über Greta für die ganze Familie zugänglich gemacht. Wir sind stolz, dass wir eines der wenigen Unternehmen weltweit sind, die von Studios wie Warner Media als sicher zertifiziert wurden. Mit unseren neuen Features können wir außerdem jede gewünschte Sprachfassung oder Synchronisation anbieten – alles über eine App. Denn ist es nicht irgendwie antiquiert, dass es für viele Filme bis zu zwanzig verschiedene Sprachfassungen gibt, aber keine davon für den Kinobesuch nutzbar ist?

CCB Magazin:Kannst du mal erklären, wie Greta funktioniert?

Seneit Debese:Ganz einfach: Der blinde Anwender nutzt Voice Over, um sein Smartphone zu bedienen. Das ist eine Technologie, die Apple 2009 eingeführt hat. Und für Gehörlose werden Untertitel abgespielt. Die Nutzer können sich die App kostenfrei im App-Store oder bei Google-Play runterladen. Dann suchen sie sich einen Film ihrer Wahl aus, und schon geht’s los: Greta „flüstert Audiodeskriptionen“ oder „spielt Untertitel“ ab. Die App macht somit Kinoerlebnisse für jedermann und jede Frau möglich, in jedem Kino, in jedem Saal, zu jeder gewünschten Vorstellung - einfach vom eigenen Smartphone aus! 

CCB Magazin:Wer hat die App entwickelt? Und welche Rolle kommt dir im Unternehmen zu?

Seneit Debese:Ich bin die Geschäftsführerin, die App entwickeln wir im Team. Das Team besteht derzeit aus vier Leuten und einigen freien Mitarbeiter*innen. Wir suchen aber noch mehr Leute für Controlling, Entwicklung und Sales. Es sind einige Verleiher dazu gekommen, mit denen wir kooperieren; es kommen auch immer mehr Verleiher aus anderen Ländern hinzu, beispielsweise aus Frankreich, Israel und der französischen Schweiz. Wir sind auf Expansionskurs! Aktuell sprechen wir sogar mit Netflix, die Interesse an unserer App zeigen.

Wir sind stolz, dass wir eines der wenigen Unternehmen weltweit sind, die von Studios wie Warner Media als sicher zertifiziert wurden. Mit unseren neuen Features können wir jede gewünschte Sprachfassung oder Synchronisation anbieten – alles über eine App

CCB Magazin:Und wie sieht es heute mit der Konkurrenz aus?

Seneit Debese:In unserer Nische streben wir an, der gemeinnützige Weltmarktführer zu werden. Wir wollen ein globales, starkes und einflussreiches Netzwerk für Teilhabe sein. In Deutschland, Österreich, der Schweiz und vielen anderen Ländern gibt es noch keine Mitbewerber. Und wenn es Mitbewerber gibt, spreche ich sie immer an und suche eine Zusammenarbeit. Ich bin von einer kooperativen Unternehmens- bzw. Marktgestaltung zutiefst überzeugt.

CCB Magazin:Eure Lösung ist softwarebasiert. Sie funktioniert weltweit und kostet die Kino- und Filmbranche nur ungefähr ein Prozent im Vergleich zu hardwarebasierten Lösungen. Die Anwendungen sind für die User und die Kinobetriebe kostenlos. Wer sind eure Auftraggeber und wie finanziert ihr euch?

Seneit Debese:Wir werden von den Verleihern beauftragt und bezahlt. Bislang gibt es, wie gesagt, noch keine vergleichbare Softwarelösung, das ist unser Marktvorteil. Und wir sind heilfroh, dass wir so große Verleiher wie Universal oder Disney als Partner mit an Bord haben. Über Universal oder Disney werden auch Filme wie Fifty Shades of Grey oder Rogue One - A Star Wars Story für blinde und gehörlose Filmfans bereitgestellt. Das ist eine große Errungenschaft, für uns als Unternehmen, für unsere Zielgruppe, für die komplette Kinobranche.

CCB Magazin:Das heißt, dass eure Idee vor allem von den großen Verleihern getragen wird? Was ist mit den kleineren, unabhängigen Verleihern, die sich das weniger leisten können? Unterstützen die euch auch?

Seneit Debese:Ja, auch viele unabhängige Verleiher nutzen unsere Lösung und beauftragen uns. Dazu gehören Verleiher wie Piffl, Neue Visionen oder X-Verleih, die jeden deutschen Film, den sie herausbringen, Gehörlosen und Blinden bereitstellen. Die Großen stellen uns aber alle Filme zur Verfügung. Das ist für uns ein echter Wettbewerbsvorteil gegenüber vergleichbaren Anbietern im Ausland. Denn keiner hat bislang so eine Bandbreite an Filmen wie wir: Unser Angebot reicht von Animation über Blockbuster bis hin zur Arthouse-Perle.

Keiner hat bislang so eine Bandbreite an Filmen wie wir: Unser Angebot reicht von Animation über Blockbuster bis hin zur Arthouse-Perle

CCB Magazin:Ihr seid seit euren Anfängen vor zehn Jahren durch zahlreiche Programme gefördert worden. Wie sieht es heute aus, wie finanziert ihr euch?

Seneit Debese:Grundsätzlich sind wir profitabel. Wir haben die oben genannten Weiterentwicklungen aus unserem Cash-Flow finanziert. Für die geplante Expansion u.a. mit dem kostenpflichtigen mehrsprachigen Angebot haben wir im letzten Jahr weitere Förderungen bekommen. Zum einen über das Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP) des Bundeswirtschaftsministeriums. Zum anderen über die Filmförderanstalt. Seit 2019 haben wir als Finanzierungspartner zusätzlich Joachim Schoss, dem Gründer der ImmobilienScout-Gruppe für die Expansion im Social Franchise - und damit auch die Partnerschaft mit blinden oder gehörlosen Unternehmer*innen.

CCB Magazin:Seneit, letzte Frage zum Schluss, wie geht es weiter?

Seneit Debese:Wir streben eine Expansion mit unseren Kooperationspartner in 18 neuen Ländern an. In den gleichen Ländern wollen wir unser mehrsprachiges Angebot, das sich an sehende und hörende Touristen, Expats, Studierende und Sprachlernende, einführen und skalieren. Aber das wichtigste ist, das wir und alle anderen wieder ins Kino gehen können. Unsere Vision ist, dass verschiedene Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, fremdsprachig oder nicht, jung und alt im gleichen Saal, im gleichen Kino den gleichen Film erleben, an den gleichen Stellen lachen können. Das ist unser Beitrag zu Gemeinschaft, zu Teilhabe, zu Dazugehörigkeit und Wirtschaftswachstum in der Kinobranche.


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Category: Innovation & Vision

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