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Katerina Belkina: „Man könnte mich auch mit einer Schildkröte vergleichen“

Katerina Belkina: „Man könnte mich auch mit einer Schildkröte vergleichen“
Photo: © Katerina Belkina

Katerina Belkina ist Künstlerin und kommt aus Samara, Russland. Aktuell hat sie eine Ausstellung über ihre Arbeiten im Direktorenhaus. Bekannt geworden ist sie durch ihre mystischen Selbstporträts. Katerina Belkina war an der Art-Akademie in Russland und an Michael Musorin’s Schule für Fotografie. Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Lucas-Cranach Preis 2015 und der Hasselblad Masters 2016. Wir sprachen mit ihr über ihren Weg nach Berlin, die Situation für Kunst und Kultur in Russland und über Selbstportraits als Mittel zur Selbsthinterfragung.
 

INTERVIEW Jens Thomas

 

CCB Magazin: Hallo Katerina, du hast gerade eine Ausstellung zu deinen Arbeiten im Direktorenhaus eröffnet. Ursprünglich kommst du aus Samara, Russland. Seit drei Jahren lebst du in Berlin. Wie und warum bist du nach Berlin gekommen?

Katerina Belkina: Ich bin schon mein ganzes Leben lang auf der Suche nach meinem Zuhause. Vor drei Jahren habe ich mich dann für Berlin entschieden. Man könnte mich auch mit einer Schildkröte vergleichen, die sich langsam dem Meer nähert. Denn ich möchte mich nicht an eine Nationalität klammern oder darauf festgelegt werden. Ich fühle mich mehr mit diversen kulturellen Traditionen verbunden als mit Orten oder Nationalitäten.

CCB Magazin: Wie erlebst du Berlin? Als Stadt für Kultur? Als Stadt für dich, um dich zu entfalten und um deine Kunst zu zeigen?

Katerina Belkina:Ich habe Berlin von Anfang an als mein Zuhause empfunden. Zum Teil erinnert mich Berlin auch an Moskau, natürlich an das alte und gemütliche Moskau, so wie es früher einmal war. Berlin ist eine sehr freie Stadt, frei von sämtlichen Vorurteilen, das gefällt mir. Wenn Berlin ein Mensch wäre, wäre es ein intelligenter Mann mit einem guten Charakter. So einen hat man gerne im eigenen Freundschaftskreis.

Wenn Berlin ein Mensch wäre, wäre es ein intelligenter Mann mit einem guten Charakter. So einen hat man gerne im eigenen Freundschaftskreis

CCB Magazin:Berlin gilt als eine der führenden Kunstmetropolen weltweit, zugleich ist es schwer, von der Kunst in der Stadt leben zu können. Wie ist das für dich?

Katerina Belkina:Bislang habe ich immer Arbeit gefunden, vielleicht hatte ich einfach Glück. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich freischaffend bin und mich nie großartig auf Jobsuche begeben musste. Aber ich bekomme natürlich immer wieder mit, wie schwer es in Berlin ist, als Künstlerin zu überleben, vor allem hier auch eine Wohnung zu finden. Ich denke aber, wenn man Arbeit finden will, dann schafft man das auch. Man muss es nur wollen!
 

Foto aus der Serie "Not A Man's World". Foto © Katerina Belkina


CCB Magazin:Viele haben Angst, dass die Freiräume in Berlin schwinden. Wenn du das mit der Situation in Russland vergleichst, wo es nicht mal eine Kunstfreiheit gibt: Wirken solche Debatten auf dich luxuriös?

Katerina Belkina:Ehrlich gesagt sehe ich in Berlin verglichen mit Moskau keine sonderlichen Probleme. Berlin geht es wirklich gut. Ich verstehe zwar diese Ängste, Berlin ist aber immer noch eine sehr vielfältige, interessante und vor allem bequeme Stadt. Und hier zu arbeiten, das ist dank dieser Atmosphäre auch machbar und möglich. Zudem ist Berlin eine der besten Städte, um Kontakte zu knüpfen. Mich strengt das nur manchmal an. Ich habe einfach nicht die Kraft und Ressourcen dafür. Das einzige, was mir in Berlin wirklich fehlt, ist ein 100prozentiger Service, auf den ich mich verlassen kann. Den gibt es wiederum in Moskau. Ich führe das auf den sehr hohen Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern und die immensen Geldströme in der Stadt zurück. Menschen strengen sich mehr an, wenn die Konkurrenz hoch oder zumindest höher ist.

CCB Magazin:Wladimir Kaminer hat Russland kürzlich in einem Interview mit einem Knast verglichen. Seinen Weg nach Berlin bezeichnet er als Flucht. Wie war das für dich? Bist du auch vor irgendetwas geflüchtet? Und wie beurteilst du die derzeitige Situation in Russland für Künstler und Kulturschaffende aufgrund zunehmender Zensur? 

Katerina Belkina:Als Flucht würde ich meinen Weg nach Berlin nicht bezeichnen, aber ich fühlte mich eingeengt. All das, was Berlin für Künstler hat und bietet, so zum Beispiel einen Berufsverband wie das bbk oder diverse Förderprogramme, das gibt es in Russland nicht. Will man in Russland eine Ausstellung eröffnen und seine Kunst in anderen Ländern zeigen, braucht man ein Visum. Ein Kunstmarkt existiert de facto nicht. In Russland ist es sehr sehr schwer, von der eigenen Kunst zu leben. Die, die das Geld haben, geben es nicht für Kunst aus. Kunst wird in Russland mehr oder minder ignoriert, solange sie nicht politisch ist. Ist sie politisch, wird sie zensiert. Meine Kunst ist aber nicht politisch, darum war mein Weg nach Berlin eher darin begründet, mich selbst entfalten zu können und meine Arbeit zu zeigen. 

CCB Magazin:Kommen wir zu deiner Arbeit: Du hast eine Ausbildung zur Kunstmalerin an der Art-Akademie in Russland absolviert und warst im Anschluss an Michael Musorin’s Schule für Photografie. 2007 wurdest du für den prestigeträchtigen Kandinsky Prize nominiert, 2015 bist du mit dem Cranach Preis ausgezeichnet worden, 2016 mit dem Hasselblad Masters. Was bedeutet Kunst für dich und was bedeutet dir deine Arbeit?

Katerina Belkina:Kunst und meine Arbeit bedeutet mir sehr viel. Das wichtigste für mich im Leben ist die Freiheit für meine Kreativität, die ich gerade in Berlin leben kann. Ich setzte mir nur ungern schwer zu erreichende Ziele oder stelle mich vor schwierige Herausforderungen, die ich womöglich nicht meistern kann. Vielleicht ist das eine weibliche Eigenschaft. Männer neigen ja eher dazu, alles erobern zu wollen. Ich konzentriere mich dagegen immer aufs Alltägliche, auf das Hier und Jetzt, auf aktuelle oder bevorstehende Projekte. Momentan bereite ich mich zum Beispiel auf das erste Treffen mit dem Berliner Kunst-Publikum vor. Das ist alles sehr aufregend!

Ich konzentriere mich immer aufs Alltägliche, auf das Hier und Jetzt

CCB Magazin:Ein Charakteristikum deiner Arbeit sind deine mystischen Selbstportraits. Ist das auch ein Mittel, um dich sich selbst zu beobachten oder kennenzulernen? Vielleicht auch, um sich und gewisse Dinge zu hinterfragen?

Katerina Belkina:Das hast du so ganz gut zusammengefasst. Selbstportraits sind für mich ein Weg, um in die Tiefe zu gehen. Und das spiegelt dann vieles wider: Schüchternheit, die Angst, nichts zu können oder zu wollen, auch einen Mangel zu haben an technischen und finanziellen Mitteln. In meiner Serie "Not A Man's World" beispielsweise möchte ich das Unbewußte der Frau zum Ausdruck bringen. Und um andere zu verstehen, schlüpfe ich in andere Rollen, in andere Frauen und damit in verschiedene Charaktäre und Schicksale. Am Anfang waren meine Selbstportraits auch ein Mittel zur Kostenreduzierung, da ich keine Models etc. bezahlen musste - ich habe mich einfach selbst portraitiert. Beim Selbstportraitieren weiß ich zudem immer ganz genau, wie ich mit Körpersprache und Mimik exakt das Bild umzusetzen kann, welches mir in meinem Kopf vorschwebt. Auch spiegeln meine Selbstportraits meinen Kindheitstraum wider, Künstlerin und Schauspielerin zugleich zu sein. Ich habe mich dann aber bewusst auf meine Kunst konzentriert. 

Meine Selbstportraits sind für mich ein Weg, um in die Tiefe zu gehen

CCB Magazin:Deine Mutter ist ebenfalls Bildende Künstlerin. Hat sie deinen Weg mitbeeinflusst?

Katerina Belkina:Natürlich! Sie war es, die mir gelehrt hat, kreativ zu denken, zu träumen, sich selbst nicht zu verlieren und zugleich viel zu arbeiten, um immer die Qualität zu erreichen, die für einen richtig und wichtig ist. Mein Vater besorgte mir zudem meine erste Analogkamera. Nur dank meiner Familie habe ich die Kunst für mich auf dieser Welt entdeckt. 

Foto aus der Serie „Revival“. Foto © Katerina Belkina
 

CCB Magazin:In deiner Serie „Revival“ sagst du: “Diese Welt ist so absurd materiell geworden”. Was genau meinst du damit?

Katerina Belkina:Wir, die Menschen, haben erst im letzten Jahrhundert gelernt, was es heißt, bequem zu leben. Und noch längst nicht überall auf der Welt lebt es sich bequem. Der materielle Komfort ist Fluch und Segen zugleich: Es ist doch absurd, dass wir uns einerseits nach diesem Komfort so gesehnt haben, weil wir dachten, wenn wir ein schönes Leben leben, werden wir uns auch automatisch weiter entwickeln. Andererseits bringt uns genau dieser Komfort in vielerlei Hinsicht zu einem neuen Stillstand: Seit Jahrtausenden haben die Menschen immer nur überlebt, weil sie sich weiter entwickelt haben und fortbewegten. Mit Erreichen der Zivilisation und einer auf dem Materiellen basierenden Komfortzone verschwindet diese Notwendigkeit aber wieder, weiter zu suchen und sich auch zu entwickeln. Heute ist einfach jeder dazu gezwungen, sich für sich verantwortlich zu fühlen. Jeder einzelne muss seinen Weg zur Selbstentwicklung suchen.  

Heute ist jeder dazu gezwungen, seinen eigenen Weg zur Selbstentwicklung selbst zu suchen – das ist doch absurd!

CCB Magazin:Du beschäftigst dich in deiner Arbeit auch mit „Räumen“. Eine Serie lautet: “Empty Spaces”. Es geht um Menschen, die auf der Suche nach einem "gemütlichen Ort" in der Gesellschaft sind. Ist das auch deine eigene Geschichte?

Katerina Belkina:Ja, das ist sie, aber sie könnte auch von jedem anderen sein, weil die meisten Menschen nach Orten suchen, die zu ihnen passen. Es geht also um alle, die sich in einer großen Stadt alleine gelassen fühlen oder alleine gelassen wurden. Leere Räume – das ist eine Metapher für unser Leben. Wir streben danach, unser Leben materiell zu gestalten, doch dann erkennen wir, dass das Leben trotzdem leer bleibt. Wenn man das versteht, dann will man im Grunde nur vor sich selbst davonlaufen. Man kann dem eigenen Ich aber nie entkommen. Und so ist jeder von uns letztendlich auf der Suche nach so abstrakten, und doch sehr notwendigen Sachen wie einer Beziehungen, nach gegenseitiger Unterstützung, nach einem Mitgefühl.

Foto aus der Serie „Empty Spaces“. Foto © Katerina Belkina
 

CCB Magazin:Katerina, was sind deine Pläne für die Zukunft?

Katerina Belkina:Das Wichtigste ist jetzt erst mal die Ausstellung im Direktorenhaus. Ich möchte einfach weiter leben und immer weiter etwas Neues für mich finden und auch schaffen. Das nächste Projekt wird dann eines über deutsche Märchen sein, das ich bald plane. Und darum werde ich mich bis zur Perfektion kümmern.


Profil von Katerina Belkina auf Creative City Berlin 

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