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Matthias Jung: "Es geht hier nicht nur um Musik, es geht auch um unsere Gesundheit"

Matthias Jung: "Es geht hier nicht nur um Musik, es geht auch um unsere Gesundheit"
Photo: © Stefan Wieland

Über 150 Speaker aus der ganzen Welt, mehr als 80 Sessions, zahlreiche Workshops, Podiumsdiskussionen und Networking-Veranstaltungen – die Konferenz MOST WANTED: MUSIC in der Alten Münze bringt die Musikwelt am 7. und 8. November in Berlin aufs Parkett. Diskutiert wird über die neuesten Trends der Digitalisierung: Was machen VR-Trends mit Konsumenten und Produzenten? Wie verändert Streaming den Musikmarkt? Welche neuen Möglichkeiten im Musikmarketing gibt es und welche Technologien retten vielleicht mal unsere Welt? Wir haben uns zuvor mit einem der Köpfe des Teams – mit Matthias Jung – über Musik, die Zukunft und Abgründe der digitalen Erosion einer ganzen Branche unterhalten. 
 

 INTERVIEW JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Hallo Matthias, du bist Teil von MOST WANTED: MUSIC 2018 und leitest das Konferenzprogramm. Das diesjährige Motto lautet "Where You Shape The Future Of Creativity". Es geht um die Digitalisierung einer ganzen Branche. Hast du eigentlich einen Plattenspieler? 

Matthias Jung: Na klar habe ich den, sogar drei! Bei allem Fortschritt darf so etwas nicht einfach verloren gehen. Ich habe sogar noch Kassetten. Das Schöne an der Digitalisierung ist ja, dass die Plattenverkäufe seit Jahren stabil sind. Selbst die Kassette verkauft sich immer noch. 

Unser Ziel ist es, mit der Konferenz den praktischen Wissenstransfer zu fördern und Perspektiven für neue Geschäftsmodelle zu wecken

CCB Magazin:Ihr beschäftigt euch auf der MOST WANTED: MUSIC mit der digitalen Durchdringung der Musikbranche. Was wird ganz konkret geboten? 

Matthias Jung: Eine ganze Menge. Im Fokus stehen die rasanten Entwicklungen in der Musik- und Kreativbranche der letzten Jahre. Unser Programm bietet über 80 Sessions, bringt mehr als 150 Speaker aus der ganzen Welt auf die Bühne, die in Workshops, Podiumsdiskussionen und Networking-Sessions über VR-Trends, aktuelle Entwicklungen am Streaming-Markt oder auch über neue Möglichkeiten im Musikmarketing diskutieren. Unser Ziel ist es, mit der Konferenz den praktischen Wissenstransfer zu fördern und Perspektiven für neue Geschäftsmodelle zu wecken. Neben musikwirtschaftlichen Themen geht es bei MW:M18 vor allem auch um ganz praktische Anwendungsmöglichkeiten. Im Grunde werfen wir die grundlegende Frage auf, welche Rolle neue Technologien jetzt schon und zukünftig in der Kreativbranche spielen und ob Maschinen emotional und emphatisch sein können, und natürlich wie kreativ sie sind. Oder anders gefragt: Wie können wir uns in der Musikbranche künstliche Kreativität künftig zunutze machen?

CCB Magazin:Und: Wie können wir uns in der Musikbranche künstliche Kreativität künftig zunutze machen?

Matthias Jung: Durch ganz verschiedene Strategien. Nehmen wir als Beispiel die Immersive und Künstliche Intelligenz: Virtual-Reality-Tools zum Musikmachen verändern schon jetzt die komplette Musikindustrie, unsere Kosumgewohnheiten, aber auch Wege der Produktion und Distribution. MuX und Hexerjsmos stellen diese Entwicklung zum Beispiel in einer Session zu immersiven Medien vor, also zu neuen digitalen interaktiven Medienformen. Denn die klassisch analoge Musikrezeption – das sehen wir gegenwärtig am Absterben der klassischen Printmagazine von Spex oder Intro – gibt es immer weniger. Zudem beleuchten wir das Feld der künstlichen Intelligenz, so etwa in der Session Who's Got Talent: (Wo)Man Or Machine? Formen der Interaktion wie Voice Assistants werden beim Musikhören immer wichtiger. Musik läuft heute oft nur nebenher, man will praktisch die Hände frei haben. Dr. Jochen Steffens von der Technischen Universität Berlin stellt dazu eine bislang unveröffentlichte Studie zu der sich verändernden Musiknutzung durch Streaming und Playlisten vor. Außerdem wird der Nachrichtendienst Music Ally aus London ein speziell für MOST WANTED: MUSIC entwickeltes White Paper zu “Smart and immersive music marketing trends” veröffentlichen, das alle Gäste der Veranstaltung gratis von uns bekommen werden – das sind nur einige Punkte, und das wird spannend! 

Eristguterjung: Matthias Jung, im Gespräch mit Creative City Berlin, er leitet das Konferenzprogramm MOST WANTED: MUSIC 2018. Foto © privat

CCB Magazin:Du kommst aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Die Schattenseite lautet, dass die Digitalisierung Musik immer mehr zur Monokultur formt. Auch Maik Pallasch von Spotify wird auf der Konferenz sprechen. Viele mahnen eine sogenannte ‚Spotifyisierung‘ der Musik an: Die Spotify-Algorithmen suchen in der Regel nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Vor allem die Nischen und das Experimentelle fallen so durch den digitalen Suchlauf. Trägt Spotify zum Ende experimenteller Kultur und einer Entdemokratisierung von Musik bei? 

Matthias Jung: So würde ich das nicht sehen. Natürlich müssen wir aufpassen, dass künftig nicht einzelne Player auf dem Markt die Gatekeeper-Rolle für sich beanspruchen und den Künstlern folglich die Alternativen fehlen. 

CCB Magazin:Aber ist das nicht schon so? Der Musikmarkt wird mittlerweile von den großen „Drei“ dominiert – von Sony, Universal, Warner. Alleine Sony Music Entertainment konnte 2017 einen Marktanteil von 22,2 Prozent erzielen. Auf dem Streaming-Markt dominiert der Riese Spotify. 

Matthias Jung: Ja, diese Machtkonzentrationen zeichnen sich ab. Letztlich sorgen wir dann aber nur für eine diverse Musikkultur, wenn es auch genügend Möglichkeiten der Verbreitung von kreativem Content gibt. Und genau das treibt die Digitalisierung voran. 

Letztlich sorgen wir in Zukunft nur dann für eine diverse Musikkultur, wenn es auch genügend Möglichkeiten der Verbreitung von kreativem Content gibt. Und genau das treibt die Digitalisierung voran

CCB Magazin:Die Wirtschaftswissenschaftler Nils Wlömert und Dominik Papies haben in einer Studie Spotify-Hörer herausgefunden, dass die Konsumenten weniger Geld für CDs und Downloads ausgeben, sobald sie Spotify abonnieren – wer Spotify kostenlos nutzt, senkt seine Ausgaben um durchschnittlich etwa 10 Prozent. Wer ein Spotify-Premium-Abo für 9,99 Euro pro Monat abschließt, gibt sogar knapp ein Viertel weniger für Alben, Singles und einzelne Songs aus. Ist Spotify dafür verantwortlich, dass viele Künstler von ihrer Musik nicht leben können? 

Matthias Jung: Die Verwertungsfrage und Verteilungsgerechtigkeit müssen wir klären, ja. Ich finde aber, dass Spotify Musik für viele erst zugänglich macht. So ist auch die Nachfrage nach unserer Spotify Masterclass bei Most Wanted enorm. Die Verteilungsfrage ist eine sehr dringliche, ja, vermutlich ist sie auch noch nicht zu Ende gedacht. Die wollen wir auf der Konferenz auch kritisch diskutieren.  



CCB Magazin:Was sind Lösungswege? Auch Claudia Schwarz, die Vize-Präsidentin des Bundesverband MusicTech Germany, ist Teil der Konferenz. In einem Interview im CCB Magazin hob sie die neue shape-shifting-Technologie von a.i.music (UK) hervor, aus der heraus aus einem Song in Echtzeit 10, 100, 1000 lizenzierte individuelle Variationen erzeugt werden können und damit letztlich die Verdienstmöglichkeiten eines Künstlers in Sekunden um ein Vielfaches steigen kann. Sind solche Technologien die Lösung des Problems? 

Matthias Jung: a.i. music ist in jedem Fall eine spannende Anwendung. Wir hatten dazu auch einen Talk mit Gareth Deaken von a.i. music eingeplant, der aber leider nicht stattfinden kann. Ich würde sagen, dass a.i. music kein Problem löst, aber neue individuelle Interaktionmöglichkeiten schafft. Ich sehe die Lösung des Problems in Zukunft vor allem in der Blockchain-Technologie und der Copyright-Frage. Erst dadurch lässt sich die zukünftige Verteilungsgerechtigkeit stärken. 

CCB Magazin:Was meinst du genau? 

Matthias Jung: Über Blockchain können Künstler ihre Werke heute direkt und ohne jeglichen Mittelsmann verbreiten und werden dafür sofort entsprechend entlohnt. Die Songs sind mit einem einzigartigen Code versehen. Durch diesen Code kann, beispielsweise bei einem Download, ein automatischer Prozess in Gang gesetzt werden, der eine Überweisung in einer Kryptowährung auslöst und dadurch unmittelbar alle am Song beteiligten Parteien entsprechend gerecht bezahlt – gleichzeitig behält der Urheber die volle Kontrolle über sein Werk. Eine weitere zusätzliche Herausforderung wird es dann aber sein, die Fülle an neuen digitalen Möglichkeiten mit bestehenden Systemen wie dem Copyright zu vereinbaren. Und hier gibt es im Grunde zwei Wege: Entweder man lockert das Urheberrecht, und Musik wird so unmittelbar für alle verfügbar. Die Frage ist dann, wie der Künstler daran verdient. Oder, das wäre der zweite Weg, man reformiert das Urheberrecht grundsätzlich. So wird aktuell über eine Verschärfung des Urheberrechts diskutiert. Erst jetzt gab es eine Reform des Urheberrechts durch einen parlamentarischen Beschluss auf EU Ebene. Damit ist aber auch noch immer nicht geklärt, wie die Wertschöpfungskette funktioniert, wie das Geld also zu den Künstlern kommt. Ich glaube, wir sind hier erst am Anfang einer neuen Diskussion.  

Wir dürfen bei all der Diskussion um Digitalisierung und Verwertungen nicht vergessen, dass es noch immer um den Menschen geht. Viele Artists in der Kreativbranche kämpfen seit Jahren mit dem Gefühl der Dauererreichbarkeit. All diese Technologien und Fortschrittsvisonen bringen uns reichlich wenig, wenn wir am Ende nicht mehr können

CCB Magazin:Ihr wollt auf eurer Konferenz auch über Gesundheit, über Mental Health, in der Musikindustrie sprechen. Was hat es damit auf sich? 

Matthias Jung: Wir dürfen bei all der Diskussion um Digitalisierung und Verwertungen nicht vergessen, dass es noch immer um den Menschen geht. Ambitionierte Artists und Arbeitnehmer in der Kreativbranche kämpfen seit Jahren mit dem Gefühl der Dauererreichbarkeit. Ihre Arbeit bestimmt ihr Privatleben, die Grenzen von Arbeit und Privatem verschwimmen. All diese Technologien und Fortschrittsvisonen bringen uns reichlich wenig, wenn wir am Ende nicht mehr können. Bei MW:M wollen wir darum auch über die psychischen Belastungen sprechen und Lösungen suchen. Hier geht es dann insbesondere auch um die Nachtarbeit in Clubs und Bars. Denn die kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Unser Partner AFEM, Association for Electronic Music, präsentiert bei MW:M die Session Surviving and thriving - wellness in electronic music. Hier tauschen sich DJs mit  Psychologen über ihre Erfahrungen aus. Prof. Dr. Borwin Bandelow thematisiert zum Beispiel bei Sex, Drugs, and Rock 'n' Roll - The Minds of Artists and Music Managers die Beziehung zwischen Artist und Manager. Auch die Berlin Music Commission (BMC) engagiert sich hier bereits. Zusammen mit der Hochschule der populären Künste wurde mit der “Popambulanz” eine erste medizinisch-psychologische Sprechstunde für Musikerinnen und Musiker aus Berlin ins Leben gerufen, eine gute Entwicklung wie ich finde. Und die wird von der Forschung bis zum Praxisangebot bei MW:M vorgestellt. 

Foto © Stefan Wieland

CCB Magazin:Matthias, wie sieht der digitalisierte Musikmarkt der Zukunft aus? Und wenn du eine Lösung umsetzen könntest: Was genau müsste wie und warum in Zukunft entwickelt oder verändert werden? 

Matthias Jung: Die Zukunft wird – hoffentlich – bunt! Die Optionsfülle wird zunehmen, das Musikmachen und -erleben wird immer einfacher – sei es im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz oder durch gemeinsame Erlebnisse im Kontext von Virtual-Reality-Konzerten. Die Schnittstelle von Mensch und Maschine finde ich hier besonders spannend. Hierzu kann ich nur den Talk mit Ulf Schöneberg bei MW:M18 empfehlen, bei dem er das 'Musical Brain' vorstellt. Ich denke, dieses Feld wird künftig ganz neue Perspektiven schaffen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Kommt doch einfach vorbei! 

CCB Magazin:Matthias, vielen Dank für dieses Gespräch.


Hier gibt's alle Infos zur Veranstaltung 

Profil der Berlin Music Commission auf Creative City Berlin

 

Category: Specials

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