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Wolfgang Georgsdorf: Wer nicht hören will, kann riechen

Wolfgang Georgsdorf: Wer nicht hören will, kann riechen
Photo: © Katharina Hornig
Wolfgang Georgsdorf vor seinem SMELLER 2.0. Die erste Geruchsorgel der Welt.

Was ist "olfaktorische Kunst" und wie riecht die Zukunft? Wolfgang Georgsdorf, in Österreich geboren, seit über 25 Jahren in Berlin, arbeitet zu dieser Frage seit Jahren. Seine Kunstsparte nennt er OSMODRAMA, seine Arbeiten oszillieren zwischen Kunst und Wissenschaft, ursprünglicher Naturerfahrung und hochtechnologischem Equipment. Bekannt wurde der Künstler vor allem durch SMELLER 2.0 – ein Universalgeruchsprojektor, der Düfte verschiedenster Zeiten und Räume für das kollektive Erleben in einen Saal einströmen lässt und sekündlich andere Szenarien imaginiert: Willkommen auf der Autobahnraststätte, einer frisch gemähten Wiese oder auf der Dorfkirmes am Süßwarenstand. Aktuell arbeitet er in seiner Forschungsstation im Naturpark Dahme-Heideseen, tourt mit seiner riesigen Geruchsorgel SMELLER 2.0 durch die ganze Welt und bringt den Duft der Zeit, Natur, Technik und Kunst zusammen. Wir sprachen den Tausendsassa am Telefon, während er gerade mal im Baumarkt Material für sein neues Projekt kaufte.
 

INTERVIEW   KORA ANNIKA BÖNDGEN

 

CCB Magazin: Hallo Wolfgang, kannst du mich hören? Ich möchte mit dir über deine Arbeit zu Geruch und Natur, Technik, Kunst und eine gute Zukunft sprechen. Hast du kurz Zeit?

Wolfgang Georgsdorf: Ja, ich höre dich gut. Ich stehe gerade im Baumarkt. Wie kann ich helfen? 

CCB Magazin: Du hast Smeller 2.0 entwickelt, eine bislang einmalige Geruchsorgel. Ich selbst habe den SMELLER 2.0 letztes Jahr in der Ausstellung „Welt ohne Außen“ im Martin-Gropius-Bau gesehen und gerochen. Ganz genau erinnere ich mich noch an den beißenden Geruch von Tankstellen, an frisch geschnittenes Gras im Sommerregen oder die Kindheit auf Omas Bauernhof. In gut 12 Minuten waren hier über 140 Gerüche zu erleben. Für die, die nicht wissen, was SMELLER 2.0 ist, beschreib ihn doch mal in fünf Sätzen. 

Wolfgang Georgsdorf: Der SMELLER ist Teil der von mir entwickelten Kunstform OSMODRAMA, eine zeitbasierte Kunst komplexer und präziser Sequenzen von Gerüchen und Düften, die allein oder in Verbindung mit allen anderen uns bekannten Feldern der Kunst und Kommunikation wirken kann. Die elektronisch gesteuerte, 1,6 Tonnen schwere Geruchsorgel ist ein Universalgeruchsprojektor, der aus 64 Basisgerüchen vorgemischte Gerüche und Düfte verschiedenster Zeiten und Räume für ein kollektives Erleben in einen Saal einströmen lassen kann, sodass wir mit jedem Atemzug einen neuen Geruch erleben können – ohne, dass dieser sich mit vorhergehenden oder nachfolgenden vermischt. Entwickelt habe ich eine erste Version bereits 1996. 2012 konnte ich dann nach einer Anfrage des OK-Zentrums für Gegenwartskunst in Linz mit einem interdisziplinären Team von Experten aus den Gebieten Strömungstechnik, Parfümistik, Design, Architektur, Elektronik, Mechatronik, Chemie, Physik, Mathematik und der Unterstützung fantastischer Unternehmen und Gewerke SMELLER 2.0 bauen. Im Gropius-Bau hat der SMELLER von der Raumsituation her zwar gar nicht ideal funktioniert – aber du wirst trotzdem etwas gerochen haben.

SMELLER 2.0 ist ein Universalgeruchsprojektor, der aus 64 Basisgerüchen vorgemischte Gerüche und Düfte verschiedenster Zeiten und Räume für ein kollektives Erleben in einen Saal einströmen lässt

CCB Magazin: Oh ja, das habe ich. Der Gestank von Fischabfällen ist mir bis heute noch in der Nase, der Duft frisch gebrannter Mandeln aber auch. Im Gropius-Bau habt ihr gemeinsam mit der Charité und dem Interdisziplinären Zentrum für Riechen und Schmecken des Polyklinikums Dresden auch eine Studie durchgeführt, um herauszufinden, welche Effekte OSMODRAMA auf Individuen hat, die beispielsweise unter Anosmie, der Blindheit der Nase, hervorgerufen durch Depression, leiden. Wie genau lief das ab und was sind die Ergebnisse?

Wolfgang Georgsdorf: Das HNO-Zentrum am Ku'damm war auch noch dabei. Wir haben ausgewählte Probanden mit Dauerkarten ausgestattet und diese täglich für 30 bis 60 Minuten in den SMELLER geschickt, wie er auch für Besucher aufgebaut war. Davor, nach der Hälfte der Zeit, und im Anschluss, wurden sie intensiv untersucht, Screening. Das Ergebnis: 44 Prozent aller Patienten zeigten eine signifikante Verbesserung ihrer Symptome. OSMODRAMA hat dabei aber nichts mit Aromatherapie zu tun, sondern bewirkt eine Verlebendigung der Gefühle durch Geruchserlebnisse und hat – wie wir empirisch wissen – vor allem auch für Depressive, Demenzkranke, Parkinson- und Alzheimerpatienten einen therapeutischen Effekt. Durch die schnelle Abfolge von Geruchssequenzen werden Triebe, Erinnerungen und Gefühle extrem getriggert und das stellt eine echte Alternative zu Pharmaka dar. Die Publikation zu dieser Studie steht kurz bevor.

Foto © Gianmarco Bresadola

Foto © Michele Bavaud


CCB Magazin: Deine Arbeit bewegt sich zwischen Kunst und Wissenschaft. Hast du denn den Anspruch, dass Kunst die Gesellschaft verbessert, wie in deinem Fall, indem sie ihren Teil zum Gesundheitswesen beiträgt?

Wolfgang Georgsdorf:Ich bin in erster Linie Künstler. Aber mit Kunst ein sensationelles Nebenprodukt in der Heilkunst hervorzubringen, ist mindestens nachrichtenfähig. Vom Kuratieren zum Kurieren sozusagen. Wenn heute in der Medizin so irre viele Medikamente verabreicht werden, dann sollen auch alle wissen, dass es etwas anderes gibt, das wirklich wirkt. Jetzt bereiten wir mit den Medizinkollegen eine Versuchsanordnung vor, bei der die Leute ins MRT geschoben werden, damit wir sehen können, welche Gehirnareale beim Erleben von OSMODRAMA feuern. Zur Entfaltung großer schöpferischer Potenziale  brauchen wir sinnliche, körperliche Erfahrung im Allgemeinen, also Naturerfahrung. Gerade adaptiere ich eine große Jugendstilvilla für eine künftige Landwohngemeinschaft, eine Art Co-Working-Living-Space auf 500m2 mit 34 Zimmern, mit 10.000 m2 Garten und Park direkt im Naturpark Dahme-Heideseen, das ist eine der dünnst besiedelten und schönsten Gegenden in Deutschland mit über hundert Seen. Dort gibt es auch ein Wolfsrudel, Störche landen hier und Wildgänse. Das hilft nicht nur beim Denken. Von Berlin ist es nur eine Stunde mit Bahn und Bus. 

CCB Magazin: Geht es dir dabei auch um das Thema Nachhaltigkeit? Oder mehr um die Naturerfahrung?

Wolfgang Georgsdorf: Um beides! Aber auch darauf beschränkt es sich ja nicht. Der Wald – auch in seiner übertragenen Bedeutung – ist ein Labor, in dem wir für uns sehr wichtige Dinge oder Phänomene finden. Ich mache seit vielen Jahren zum Beispiel Projekte in Kooperation mit der Oberförsterei hier, weil „Wald“ seit meiner Jugend ein ziemlich großes Thema für mich ist, aber gar nicht etwa nur im „grünen“ Sinne, sondern im metaphorischen. Ich bin ja in der Stadt aufgewachsen. Aber Wald ist eine Art Generalschlüssel. Ein Duftuniversum. Und echter Wald ist zum Beispiel perfekte Ordnung und Unordnung zugleich. Ich vermittle das mit Projekten wie Waldkino, Lesefährten, großen Installationen im öffentlichen Raum. Diesen Prozess meines Schaffens nenne ich Waldarbeit.

Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch, oder in der Forschung – das geht für uns gar nicht mehr ohne Computer. Deshalb stellen Naturerhaltung und Technisierung in meinen Augen keinen Gegensatz dar

CCB Magazin: Wenn wir uns die Entwicklung steigender Emissionen in Deutschland anschauen, bedeckte 1992 die Verkehrsfläche hierzulande noch 16.441 Quadratkilometer oder knapp 5 Prozent der gesamten Bodenfläche. Zwischen 1992 und 2017 ist die Fläche um 10 Prozent gewachsen. Auch die Emissions-Belastungen durch den Verkehr steigen permanent weiter, die Innenstädte verstopfen regelrecht. Ist dieser Wunsch nach Naturerfahrung auch ein Folgeeffekt dieser Entwicklung? 

Wolfgang Georgsdorf:Klar, alle spüren, dass es so nicht weiter geht. Wobei zunehmende Technisierung und Naturerhalt kein Gegensatz sein muss, gerade durch die Technik lässt sich heute Natur ganz neu erfahren. Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch, oder in der Forschung – das geht für uns gar nicht mehr ohne Computer. Aber allgemein glaube ich, dass wir dabei sind, unseren Körper wieder zu entdecken. In der zunehmenden Virtualität und Digitalisierung, aber auch in der audiovisuellen Dominanz entsteht eine neue Sehnsucht. Und da ist übrigens Geruch ein riesen Öffner.

Foto © Naoh Nixon

Foto ©Julian van Dieken


CCB Magazin: Siehst du in deiner Arbeit auch etwas Politisches? 

Wolfgang Georgsdorf: Ich möchte mit OSMODRAMA praktisch wie theoretisch eine Kunst in unserer Gesellschaft verwirklicht wissen, die es bisher noch nicht gab. Das hat auch eine politische Seite: Es geht dabei ja um chemische Kommunikation: Moleküle, die zu Gefühlen werden. Duftbasiertes Erzählen. Ich will das unübersehbar weite Spektrum an künstlerischen wie wissenschaftlichen Forschungsprojekten vom Zaun brechen, die mittels SMELLER 2.0 an all den Fragen andocken können, die wichtig sind. Das schließt auch so aktuelle Themen ein wie Klimakrise, zunehmende Hektik, Ungleichheit. Vor allem will ich mit meiner Arbeit aber ein Kapitel multisensorischer Darbietungen und Aufführungen eröffnen, deren Qualität und Möglichkeiten sich die meisten von uns erst vorstellen können, wenn sie es einmal erlebt haben. OSMODRAMA und das kollektive Erleben zeitbasierter Geruchskunst und -kommunikation soll kulturelle Wirklichkeit werden – das kann man durchaus politisch verstehen.

CCB Magazin: Was mich jetzt schon mal interessiert: Wie kam es eigentlich dazu, dass du dich solchen, sagen wir mal sehr exklusiven, Kunstfeldern widmest?

Wolfgang Georgsdorf:Geruch hat mich aus mehreren Gründen schon immer fasziniert: Erstens ist es ein weitgehend unerforschtes Feld der Kunst, vor allem der zeitbasierten Künste. Zweitens ist es evolutionär der erste und physisch der tiefste Sinn mit Sitz im limbischen System des Stammhirns. Drittens bietet es eine schillernde Vielfalt von Korrelationen mit anderen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen. Viertens ist es ein in der Kunst und Kommunikation ungehobener Schatz und ein mächtiges poetisches Kraftwerk. Meine Großeltern, bei denen ich als Kind lebte, hatten mir alles erlaubt, um meine Neugierde zu stillen. Sie hatten mir ihre ausgemusterten Medikamente zum Spielen gegeben, mit der Maßgabe, sie nicht einzunehmen. Aber ich durfte daran riechen. So hatte ich immer einen Malkasten unsichtbarer Bilder. 

Geruch ist eins der nächsten großen Dinger. Er hilft uns, den Kontakt zu unserer eigenen Natur wieder herzustellen. Er wird auch die Kunst- und Medienwelt völlig verändern: Film und Geruch in bis dahin nicht erlebbaren Darbietungsformen, Musik und Geruch, Sound und Geruch, Literatur und Geruch, Tanz und Geruch

 

CCB Magazin: Wolfgang, unsere neueste Ausgabe heißt „The Big Good Future“ #2. Es geht um die Digitalisierung in Kunst und Kultur. Wie sieht deiner Meinung nach die große gute Zukunft des Geruchs in digitalen Zeiten aus? 

Wolfgang Georgsdorf: Ganz klar: Geruch ist eins der nächsten großen Dinger. Geruch ist das Virtuelle und Analoge zugleich. Er ist virtuell, weil er etwas sehr real in uns erstellt, das gar nicht da ist. Und er ist analog, weil er eben nicht aus Wellen, sondern aus Teilchen besteht, aus echter Materie. Geruch wird ein Schlüssel in bemannten Raumexpeditionen sein, die über Generationen unterwegs sind. Und Geruch hilft uns, den Kontakt zu unserer eigenen Natur wieder herzustellen. Er wird auch die Kunst- und Medienwelt verändern. Gerade heute können wir mit technologischen Innovationen auch die Verbindung von Gerüchen mit noch ganz anderen Medien erleben: Film und Geruch in bis dahin nicht erlebbaren Darbietungsformen, Musik und Geruch, Sound und Geruch, Literatur und Geruch, Tanz und Geruch, um nur die wichtigsten zu nennen. Wir werden in Zukunft auch wirksame therapeutische Ansätze sehen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Zeitbasierte chemische Kommunikation ist ein Feld, das wir kaum kennen, und deshalb auch mit Gestaltungsmodellen erst beginnen. OSMODRAMA bringt diese künstlerisch auf den Punkt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die Wirkung in der Gesellschaft deutlicher spüren können. Besonders wenn ich an KI denke. Ich bin darauf gespannt.

CCB Magazin:Wolfgang, vielen Dank für dieses Gespräch. 


Profil von Wolfgang Georgsdorf auf Creative City Berlin

Portfolio Osmodrama - Festival für Geruchskunst auf Creative City Berlin

 

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