Digitalisation, Sustainability, Corona back

Tina Sauerländer: „Online-Content muss was kosten“

Die Neue Virtuelle Wirklichkeit - Teil 2

Tina Sauerländer: „Online-Content muss was kosten“
Photo: Tina Sauerländer

Über Wochen waren alle dicht: die Museen, Theater, Kinos und Konzertsäle, die Opernhäuser und Designstudios, Bars, Clubs und Galerien. Tür zu – und dann auch wieder nicht. Denn viele trotzen dem Shutdown. Sie bewegen sich von der analogen in eine virtuelle Welt. Sie machen da weiter, wo sie vor der Krise aufgehört haben – nur im Netz. In einer neuen Reihe stellen wir die nächsten Wochen und Monate diese Neue Virtuelle Wirklichkeit vor: Wie sieht sie aus? Wie fühlt sie sich an? Wie verändert Corona Offline-Formate? Heute an der Reihe: Kunst und Konferenzen am Beispiel von Kuratorin Tina Sauerländer.
 

Text Boris Messing

 

Tina Sauerländers Avatar hat langes blondes Haar und ist mit einem marineblauen Pulli und einer schwarzen Hose bekleidet – fast wie die Tina Sauerländer im normalen Leben. Aber was ist schon normal in Zeiten von Corona? Die umtriebige Kuratorin ist in den vergangenen Jahren beruflich viel unterwegs gewesen, „zu viel sogar“, seufzt sie am Telefon. Ausstellungen, Kulturveranstaltungen, Workshops, Vernissagen, Finissagen, Meetings mit Künstlern und Organisatoren, Konferenzen – was eine Kuratorin auf Trapp halt so macht. Nun, wo die Schotten dicht sind, ist auch der Rastlosigkeit ein Riegel vorgeschoben. Allerdings habe sie ohnehin meistens von zu Hause gearbeitet, Zoom-Meetings seien nichts Neues für sie. 

Tina Sauerländer ist in Berlin keine Unbekannte. Sie hat 2010 die Plattform peer to space ins Leben gerufen, über die sie digitale und VR-Kunst einem breiten Publikum zugänglich macht. Die Technologie von VR könnte neben Online-Meetings auch ein Teil der Nach-Corona-Zeit werden. Tina Sauerländer, die auch jetzt nicht aufhört zu netzwerken, weiß davon ein Lied zu singen. An der Laval Virtual, einer dreitägigen Konferenz der VR-Community, hat sie dieses Jahr im April teilgenommen – und zwar als Avatar. Die Konferenz, die eigentlich jedes Jahr in Frankreich stattfindet, wurde kurzerhand an einen virtuellen Ort verlegt. Möglich machte das VirBELA, eine Firma aus San Diego, die sich auf die Konstruktion virtueller Welten konzentriert. „Die Konferenz fand auf einer virtuellen Insel statt, es gab sogar einen Strand“, erzählt Tina Sauerländer. An die 10.000 Avatare bewegten sich auf dieser Insel, lauschten Vorträgen, besuchten Seminare und knüpften Kontakte. „Teilweise war es sogar einfacher mit den Leuten in Kontakt zu treten“, sagt Tina Sauerländer. Online lässt sich manchmal eben freimütiger auf Menschen zugehen als in der realen Welt. Welcher Mensch hinter einem Avatar steckte, konnte man am Aufblinken seines Namens über seinem Kopf erkennen. Kommunizieren ließ sich im Chat oder verbal, wenn man sich gegenüberstand. „Man muss sich das so wie bei der virtuellen Welt Second Life vorstellen“, sagt Tina Sauerländer. Eine VR-Brille sei aber nicht notwendig gewesen. „Ich hoffe, dass bald mehr Konferenzen online stattfinden werden und nicht alle um die halbe Welt jetten müssen, nur um dabei zu sein“, sagt sie. 

Was gegenwärtig noch als lustige Corona-Laune daherkommt, könnte in Zukunft Schule machen – gerade auch unter Nachhaltigkeitsaspekten. 98 Prozent weniger Personenflugverkehr gab es im April – und damit auch weniger C02-Verbrauch. Tina Sauerländer ist das bewusst. „Das könnte zukünftig so bleiben, zumindest die Fernreisen könnten sich deutlich reduzieren“, sagt sie. Davon profitiere unser Klima. Technisch müsste man die digitalen Veranstaltungen allerdings noch etwas aufpolieren. So ist die Grafik von VirBELAs virtuellen Welten beispielsweise noch recht simpel. Alle Avatare haben die gleiche Statur und das gleiche Alter, nur einige Äußerlichkeiten wie die Haarfarbe, das Geschlecht oder die Farbe der Kleidung lassen sich ändern. So eine Darstellung einer virtuellen Insel bedarf einer sehr hohen Rechenleistung, eine realistischere Darstellung würde deutlich mehr Ressourcen verbrauchen. Und mehr Ressourcen bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch wieder einen höheren C02-Ausstoß. Eine detailreichere und individualistischere Grafik ist technisch jedenfalls möglich wie die Onlinespiel-Community beweist. 

Online-Content muss was kosten. Denn digitale Angebote sind genauso real wie physische

Ob einige Konferenzen künftig auch nach Corona virtuell stattfinden werden, hängt wesentlich von der Nachfrage und den Prioritäten der Akteure ab – zum Beispiel mit der Priorisierung des Klimaschutzes. Damit wüchse auch die Qualität der digitalen Angebote. Eine größere Nachfrage müsste aber nicht nur den technischen Part verbessern, sondern auch das Problem der Finanzierung lösen. Die Laval Virtual Konferenz beispielsweise hätte eigentlich Eintritt gekostet, die digitale Variante war jedoch umsonst. Wer wäre bereit gewesen, dafür zu zahlen? „Online-Content muss was kosten“, ist Tina Sauerländer überzeugt. „Digitale Angebote sind ja genauso real wie physische“, wenn man einen Talk auf einer virtuellen Konferenz halte, sei es schließlich derselbe wie vor Ort. Und wenn eine Künstlerin oder ein Künstler eine Arbeit auf einer Museumswebsite und deren Instagram-Kanal anstatt im Ausstellungsraum zeigt, sei dafür genauso ein Honorar fällig. Beim digitalen Zeitungsabo oder bei Streamingdiensten für Musik und Filme funktioniert das ja bereits. Wieso nicht im Kunstbereich?

So wie die digitale Kunst nicht die Malerei ersetzt, so ersetzt die virtuelle Welt auch nicht die physische. Aber Arbeit und Engagement braucht es für beides: digitale Kunst und Malerei, Online- und Offline-Konferenzen

Die Kuratorin weiß, von was sie spricht. In den vergangenen Jahren hat sie viele Ausstellungen und Veranstaltungen konzipiert und kuratiert, auch Online-Ausstellungen waren darunter. Das Problem ist hier aber genau dasselbe wie bei der Laval Virtual im Digitalformat: die Finanzierung. Mit Online-Kunst und -Konferenzen lässt sich eben kein oder kaum Geld verdienen. „So wie die digitale Kunst nicht die Malerei ersetzt, so ersetzt die virtuelle Welt auch nicht die physische“, betont Tina Sauerländer. Arbeit, Engagement und viel Erfahrung seien aber Voraussetzung für beides: digitale Kunst und Malerei, Online- und Offline-Konferenzen. Wieso wird dem nicht mehr Rechnung getragen finanziell? Vor diesem grundsätzlichen Problem stehen viele digitale Formate im Kunst- und Kulturbereich. Nur die Spiele-, Film- und Buchbranche wissen bisher aus der Digitalisierung von Kulturgütern Kapital zu schlagen. Die Frage ist: was ist uns Kunst und Kultur samt ihren Macherinnen wert? Und wie lässt sich ein digitaler Kunstmarkt mit Klimafragen zusammenbringen?

Tina Sauerländer hat sich diese Frage längst beantwortet und plant bereits ihr nächstes Ding. Die von ihr co-kuratierte Screening-Serie „Pars Pro Toto“ ist seit dem 1. Mai online auf peer to space zu sehen. Es sind künstlerische Videoarbeiten, die intime Spiegel der Gesellschaft an einem jeweils anderen Ort sind. Persönliche Geschichten, die als Teil fürs Ganze stehen. Darüber hinaus betreut sie als künstlerische Leiterin gerade einen neu ins Leben gerufenen VR-Kunstpreis. In Kooperation mit der Contemporary Arts Alliance Berlin vergibt die DKB fünf Arbeitsstipendien für vier Monate an Künstler und Künstlerinnen, die mit VR arbeiten; obendrein werden drei VR-Kunstpreise mit einem Gesamtwert von 12.000 Euro vergeben. Ein klares Zeichen: Digitale Kunst rückt langsam in den Fokus des Mainstreams, auch wenn digitale Kunst am Markt kaum mithalten kann. Vielleicht wird sie darum zum Klimavorreiter. Es ist die Zeit dafür – notgedrungen. Möge die Macht mit ihr sein.

Category: Specials

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