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Zane Berzina: „Die Ideale von heute sind die Normalität von morgen”

Zane Berzina: „Die Ideale von heute sind die Normalität von morgen”
Photo: © Julia Wolf

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie die Politik auf die Wissenschaft hört. Aber hört sie auch auf die Designforschung? Das greenlab an der Kunsthochschule Weißensee entwickelt seit Jahren nachhaltige Design-Strategien. Was können Designer für Forschung und Fortschritt besteuern? Wir sprachen darüber mit einer der Gründerinnen, Zane Berzina. 
 

INTERVIEW   Boris Messing

 

CCB Magazin: Frau Berzina, Sie sind Künstlerin, Designerin, Hochschullehrerin und einer der Gründerinnen des greenlab. Was reizt Sie an der Schnittstelle von Design und Wissenschaft?

Zane Berzina: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass Designer und Wissenschaftler gar nicht so verschieden sind, wie man meinen könnte. Beide haben gemeinsam, dass sie die Bedingungen dieser Welt verbessern wollen. Sie verwenden nur unterschiedliche Methoden, um dies zu erreichen. Ich interessiere mich für die Synergien, die entstehen, wenn diese Methoden und Kulturen kombiniert werden. Außerdem glaube ich, dass diese Art der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Design sehr wichtig ist - die Probleme des 21. Jahrhunderts sind so komplex, dass einzelne Disziplinen sie nicht mehr lösen können, auch wenn sie sich noch so sehr bemühen. Es bedarf eines interdisziplinären Ansatzes, und Design spielt hier eine wichtige Rolle. Wie der Designtheoretiker Victor Margolin sagt, produziert Design "greifbare Ergebnisse, die als Demonstrationen oder Argumente dafür dienen können, wie wir leben könnten".

CCB Magazin:Worin besteht Ihre Arbeit als Künstlerin? Oder sehen Sie sich heute mehr als Wissenschaftlerin denn als Künstlerin?

Zane Berzina:Wenn ich ehrlich bin, seit ich in Vollzeit an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin lehre, bleibt mir leider keine Zeit mehr für meine eigene Kunst. Die Arbeit an der Uni ist sehr zeitaufwendig und intensiv. Ich bin damit beschäftigt, verschiedene Prozesse, Kollaborationen, studentische und forschungsbezogene Strukturen zu kuratieren, die ebenfalls ein hohes Maß an Kreativität erfordern.

CCB Magazin:Das greenlab ist ein Labor für nachhaltige Design-Strategien. Hochschulprojekte werden mit praxisnaher Forschung vernetzt. Welche Synergien können sich daraus ergeben? Worin liegt der Mehrwert?

Zane Berzina:Wir wissen, dass die Designdisziplin häufig Produkte, Umgebungen, Prozesse und Systeme konzipiert und plant, die noch nicht existieren, indem sie komplexes Wissen aus verschiedenen, scheinbar nicht miteinander verbundenen Bereichen miteinander verbindet und als Katalysator für unsere Zukunft dient. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Design weit über die Herstellung von Objekten hinaus in Richtung Systemdesign und nutzerzentrierte partizipative Praktiken entwickelt. Wenn Designer ein Problem angehen, üben sie sich in kontextbezogenem Bewusstsein und kritischer Reflexion, in explorativer, ergebnisoffener, nichtlinearer und praxisorientierter Forschung. Dabei behalten sie das große Ganze und die Endnutzer im Auge, während sie nicht standardisierte Lösungen entwickeln. Genau das tun wir auch bei greenlab, indem wir nachhaltige Design-Strategien in der Praxis anwenden.

Die Probleme des 21. Jahrhunderts sind so komplex, dass einzelne Disziplinen sie nicht mehr lösen können. Darum bedarf es eines interdisziplinären Ansatzes, und Design spielt hier eine wichtige Rolle

CCB Magazin:Wie viele Projekte hat das greenlab seit seiner Entstehung bereits initiiert?

Zane Berzina:Es ist unmöglich zu zählen, wie viele Projekte wir bereits gefördert haben. Es müssen einige Hundert sein. Eine Auswahl davon ist auf unserer Website zu sehen. Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass wir im vergangenen Studienjahr unser 10. Jahresthema "Acker, Löffel, Campus" hatten, das sich mit den Zukunftsszenarien für die geplante Erweiterung unseres Hochschulcampus beschäftigte. 25 Studierende haben an diesem Projekt teilgenommen und einzeln oder in kleinen Teams Konzepte entwickelt. Es gab Projekte, die sich mit den Material- und Abfallströmen innerhalb der Hochschule, der Mobilität auf dem neuen Campus und der Anbindung an die Stadt sowie der Gemeinschaftsbildung mit unserer Nachbarschaft beschäftigten, um nur einige zu nennen. Zuvor gab es Projekte, die sich mit nachhaltigen Materialien, sozialem Design, zirkulärem Design, Lebensmitteldesign, Biodesign usw. befassten.


Oben: Materialproben aus dem Projekt "Cooking New Material" von Youyang Song. Alle Materialien sind auf der Basis von Fruchtabfällen entstanden. Unten: Handtasche aus Obst. Fotos: Youyang Song

CCB Magazin:Konnten sich Projekte aus dem greenlab in Kooperation mit Forschung und Industrie als Massenware oder etablierte Dienstleistungen durchsetzen? Haben Sie vielleicht ein prominentes Beispiel eines besonders gelungenen Projektes?

Zane Berzina:Wir sehen uns eher als Initiatoren neuer Konzepte im Bereich des nachhaltigen Designs, die einen Dialog zwischen den Designern und der Industrie anregen. Ein Semester (das ist der Zeitrahmen für ein typisches greenlab-Projekt) ist zu kurz für die Entwicklung echter Produkte. Wir erreichen die Konzeptions- und erste Prototyping-Phase. Infolgedessen haben viele studentische Projekte bei renommierten Designwettbewerben Preise gewonnen. Einige Projekte waren jedoch so vielversprechend, dass sie erfolgreich als BA- oder MA-Projekte oder sogar als Start-ups oder Forschungsvorhaben weitergeführt wurden. Hier möchte ich ein paar Projekte erwähnen, die einst als greenlab-Projekte begonnen haben: New Blue von Tim van der Loo, Black Liquor von Esther Stögerer und Jannis Kempkens, Mujo von Malu Lücking, Juni Sun Neyenhuys und Annekathrin Grüneberg, Cooking New Materials von Youyang Song oder Wild & Root von Linda Lezius. New Blue entwickelt Zero-Waste-Strategien für Denim, Black Liquor erforscht das Potenzial von Lignin als nachhaltiges Material, das als Abfallstrom bei der Papierherstellung anfällt, Mujo entwickelt Verpackungen aus Algen, die sich nach Gebrauch in Wasser auflösen, ohne Schadstoffe zu hinterlassen, Cooking New Materials arbeitet an veganen Lederlösungen und Wild & Root bietet seinen Kunden ganz besondere nachhaltige und köstliche Catering-Erlebnisse.

Es besteht kein Zweifel, dass die Industrie von Kooperationen zwischen Forschung und Design profitiert. Denn junge Designstudenten sind eine immense Quelle frischer Ideen und sehr motiviert, in ihren Designansätzen so einzigartig wie möglich zu sein

CCB Magazin:Wie kann die Industrie von solchen gemeinsamen Projekten profitieren?

Zane Berzina:Es besteht kein Zweifel, dass die Industrie von solchen Kooperationen profitiert. Junge Designstudenten sind eine immense Quelle frischer Ideen und sehr motiviert, in ihren Designansätzen so einzigartig wie möglich zu sein. Darüber hinaus verfügen Design und Design Thinking über viele Strategien und Methoden, die effektiv genutzt werden können, um auch einem nicht spezialisierten Publikum Einblicke in Geschichte, Prozesse oder Ergebnisse von Produkten sowie ihren Vorteilen zu vermitteln.


Oben: Gekochter Spargel mal ganz anders: Anton Richter macht aus Spargelresten Spargelschalen. Unten: Spargelbox statt Styropor. Fotos: Anton Richter

CCB Magazin:Was ist Ihre Rolle dabei? Sind Sie Ideengeberin, Mentorin, Vernetzerin, alles zusammen?

Zane Berzina:Wie bereits erwähnt, sehe ich mich in der Rolle einer Kuratorin und Mentorin - ich stelle den größeren Kontext her und entwickle das Design-Briefing für die einzelnen Projekte, ich verbinde die Punkte, ermutige und achte auch auf Details. Im Grunde genommen initiiere ich den gesamten Prozess und überwache ihn dann gemeinsam mit meinen Kolleginnen.

CCB Magazin:Gibt es außer dem greenlab noch andere Institutionen – ob Hochschule oder anderweitig –, die versuchen eine Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft mit praxisnaher Anwendung zu bilden?

Zane Berzina:An unserer Hochschule gibt es DXM - Design und Experimentelle Materialforschung, die Forschungseinrichtung des Fachbereichs Textil- und Oberflächendesign, an der auch ich beteiligt bin. Sie verbindet Materialentwicklung und Design mit dem Ziel, sinnvolle Lösungen für aktuelle Herausforderungen unserer Gesellschaft und Umwelt zu finden. Eine interessante Entwicklung ist auch das Fraunhofer-Netzwerk Wissenschaft, Kunst und Design, das vor einigen Jahren gegründet wurde. Es fördert ausdrücklich die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Kunst und Design im Rahmen der Fraunhofer-Institute.

CCB Magazin:Zum Schluss eine Prognose bitte: Werden nachhaltige Designprodukte und Dienstleistungen bald zur neuen Normalität werden? Oder sind es am Ende tolle Ideen, die mit Preisen ausgezeichnet werden, aber keinen Impact haben?

Zane Berzina:Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis die gesamte Wirtschaft ihren Weg ändert. Aber dank der europäischen Green-Deal-Richtlinie glaube ich, dass wir vielleicht Licht am Ende des Tunnels sehen. Ich höre immer öfter von der Industrie, dass sie ernsthaft nach nachhaltigeren Produktionsmethoden forscht und es sich nicht nur um Greenwashing handelt. Es gibt keinen anderen Weg in die Zukunft. Und ich denke, dass wir die Designpreise positiver sehen werden - sehr oft sind die Ideale von heute die Normalität von morgen - sie haben also doch eine langfristige Wirkung. Allerdings würde ich mir auch wünschen, dass positive Veränderungen schneller eintreten.


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Category: Innovation & Vision

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