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Tobias Veit: „Die Gastspiele sind das Problem"

Tobias Veit: „Die Gastspiele sind das Problem"
Photo: © Franziska Sinn

Kulturinstitutionen wollen nicht nur, sie müssen sich nun auch den ökologischen Herausforderungen der Zeit stellen - und ihre CO2-Emissionen senken. Die Schaubühne Berlin hat als Teil eines Pilotprojekts der Kulturstiftung des Bundes erstmals eine Klimabilanzierung erstellt. Wie funktioniert das? Auf was kommt es an? Wir sprachen darüber mit Tobias Veit, Direktor der Schaubühne Berlin.
 

INTERVIEW   Alison Winter

 

CCB Magazin: Herr Veit. Die Schaubühne hat im vergangenen Jahr neben 19 weiteren Kulturinstitutionen an einem Pilotprojekt zur Klimabilanzierung teilgenommen. Ist so eine Klimabilanzierung nicht unheimlich anstrengend und zermürbend?

Tobias Veit: Ja, das ist zunächst ungeheuer viel Arbeit, eine Menge von Daten, die überall herausdestilliert werden mussten. Unser Team hat das großartig gemacht und war zurecht stolz.

CCB Magazin:Wie lange dauert so eine Klimabilanzierung?

Tobias Veit:Insgesamt waren das vier Monate. Die erste Anfrage kam im September letzten Jahres. Ende Januar dieses Jahres war alles schon erhoben und erfasst. Im Nachhinein erstaunlich schnell, für das, was da alles zusammengetragen werden musste.

CCB Magazin:Wie läuft so eine Klimabilanzierung ab?

Tobias Veit:Erfasst werden in erster Linie die CO2-Emissionen. Wir haben die Analyse gemeinsam mit dem Umweltberatungsunternehmen Arqum erstellt. Dabei werden unterschiedliche Bereiche in drei sogenannte Scopes eingeteilt. Scope 1 enthält beispielsweise die direkten Treibhausgasemissionen aus Verbrennungsprozessen – stationär und mobil. Scope 2 enthält indirekte Treibhausgasemissionen wie Strom oder Fernwärme. Und Scope 3 enthält alle sonstigen indirekten Treibhausgasemissionen wie Dienstreisen, Wasserverbrauch oder Müllmanagement. Zuerst fällt es einem schwer, zu verstehen, wie der Wasserverbrauch oder Müll mit CO2-Emissionen verbunden sind, weil es anders als beim Heizen oder bei Abgasen durch Transporte keinen direkten Bezug zu geben scheint. Diese indirekten Emissionsquellen werden darum in CO2-Äquivalente umgerechnet, da das Produzieren von Müll selbstverständlich CO2 verbraucht, nur lässt sich das eben nicht so einfach errechnen wie bei einem Verbrennungsmotor.

Die meisten CO2-Emissionen entstehen bei der Schaubühne durch die Gastspiele. Nicht zu reisen, ist aber keine Lösung, da Gastspiele Kulturaustausch bedeuten. Trotzdem braucht es hier ein Umdenken und neue Kooperationen

CCB Magazin:Wo liegen denn die größten Probleme bei der Schaubühne, in welchem Bereich ist der CO2-Verbrauch am höchsten?

Tobias Veit:Bei der Schaubühne ist es so, dass die Scope-3-Emissionen allein schon knapp drei Viertel aller CO2-Emissionen ausmachen. Und innerhalb dieses Scopes fallen die Gastspiele mit 85 Prozent besonders ins Gewicht. Kurzum: Die Gastspiele sind das Problem. Das war für uns schon überraschend! Aber klar, wir reisen um die Welt, gerade 2019 war mit einem hohen Aufkommen an Gastspielen verbunden. Wir waren in Tokyo, Mexiko, Europa, Asien… Wir sind vier Millionen Meilen geflogen.

CCB Magazin:Was sind die nächsten Schritte? Wie kann man als Theater CO2-Emissionen einsparen?

Tobias Veit:Es gibt drei Möglichkeiten: vermeiden, reduzieren und kompensieren. Gehen wir mal direkt auf die Gastspiele ein. Gastspiele sind Kulturaustausch, d.h. letztlich kulturelle Verständigung. Das hat einen hohen Stellenwert und sollte ihn auch weiterhin haben, gesellschaftlich, politisch und künstlerisch. Nicht reisen ist also nicht die Lösung. Die klimabilanzielle Frage muss jedoch immer mitgedacht werden. D.h. Kompensationen sind unvermeidlich, gleichzeitig gibt es viele andere Wege, die Nachhaltigkeit zu stärken, wie z.B. durch Zugreisen innerhalb von Europa (auch wenn Reisezeit Arbeitszeit ist und damit die Gastspiele teurer werden) oder Mehrfachstationen in einem Land und nicht nur ein dreitägiges Gastspiel in einer Stadt. Hier muss ein Umdenken stattfinden, Kooperationen gesucht werden.


Oben: Schaubühne von außen. Foto: Gianmarco Bresadola. Unten: Schaubühne von innen. Foto: Siegfried Büker

CCB Magazin:Ein Grund, weshalb die Schaubühne und viele andere Theater so viele Gastspiele organisieren, ist Geld. Keine Gastspiele, keine Einnahmen. Muss Kultur am Ende einfach mehr kosten, um nachhaltiger zu sein?

Tobias Veit:Darauf läuft es hinaus. Das ist letztendlich ein Dialog, den wir mit der Politik führen müssen. Wenn die Antwort ist, dass CO2-Emissionen reduziert werden sollen, dann bedeutet das in jedem Fall, dass es mehr Geld kosten wird. Es gibt allerdings noch einen anderen Punkt, wo die Politik uns helfen könnte - und zwar bei der Kompensation. Das ist die letzte Maßnahme, die man ergreifen sollte, aber da wir nun einmal reisen müssen, wenn ein Kulturaustausch gewünscht ist, werden wir auch solche Maßnahmen ergreifen müssen. Wir selbst dürfen als Theater keine Kompensationszahlungen leisten. Das lässt das Zuwendungsrecht nicht zu, weil es verwaltungstechnisch eine Spende ist. Hier könnte die Politik uns gesetzlich unter die Arme greifen.

Politik muss Fördergelder für Theater an ökologische Standards binden, gleichzeitig muss ein Pakt geschlossen werden. Kultur ist ein Gemeinschaftsgut, und Kulturinstitutionen haben eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft

CCB Magazin:Mit einer Kompensation von CO2-Emissionen wird das Problem allerdings nur verschoben. Gibt es andere Maßnahmen, die die Schaubühne ergreift, um umweltverträglicher zu sein?

Tobias Veit:Wichtig ist vor allem, dass wir mit der Klimabilanzierung ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen haben, nicht nur bei der Leitung, auch bei unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Es hat sich bei uns im Haus eine Klimagruppe gegründet, die Ideen zusammenträgt und Vorschläge für Maßnahmen zur CO2-Reduzierung macht. Die Ideen werden uns dann als Maßnahmenkatalog vorgeschlagen. So ist beispielsweise die Idee entstanden, kein neues Auto zu kaufen, sondern ein paar Lastenfahrräder. Die Requisite und die Technik fahren damit bald durch die Stadt. Ein anderes Beispiel sind die Spielzeithefte und Monatsleporellos, die auf recyceltem Papier gedruckt werden. Und auch auf solche simplen Sachen wie Mülltrennung werden wir künftig besser achten. Wenn das Bewusstsein erstmal da ist, entsteht auch ein anderer Druck, nicht nur auf die Leitung, sondern auf jeden Einzelnen.

CCB Magazin:Das Arts Council in England hat es geschafft, innerhalb von sechs Jahren 35 Prozent CO2 in Kultureinrichtungen einzusparen, indem es Fördermittel an die Einhaltung ökologischer Standards geknüpft hat. Brauchen wir so etwas auch?

Tobias Veit:Ich finde es richtig, dass die Politik Fördergelder mit ökologischen Standards verbindet, es gleichzeitig aber auch ein Pakt ist, der geschlossen wird. Kultur ist ein Gemeinschaftsgut, und Kulturinstitutionen haben, wenn man so will, eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft. Wenn also Kulturinstitutionen zeigen, dass die Klimabilanz Jahr um Jahr reduziert werden kann, dann gibt es eine gute Chance, dies mit einer gewissen Wirkmacht nach außen zu tragen.

CCB Magazin:Herr Veit, vielen Dank für das Gespräch.


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