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Hans Joachim Schellnhuber: „Wir haben noch ein Jahrzehnt“

Hans Joachim Schellnhuber: „Wir haben noch ein Jahrzehnt“
Photo: © Paulus Ponizak

Hans Joachim Schellnhuber ist einer der renommiertesten Klimaforscher der Welt. Er war Berater von Angela Merkel, er hat die Kippelemente in die Forschung eingeführt, auch die Pariser Klimaziele mit einer Erderwärmung von höchstens zwei Grad gehen auf ihn zurück. Jetzt bringt er mit 71 Jahren sein neuestes Lebenswerk voran: das Projekt „Bauhaus der Erde“, um die ökologische Architektur voranzutreiben. Für unser neues Magazin "The Big Good Future" # 3 zum Thema Nachhaltigkeit sprachen wir mit ihm über den Mut zur Konsequenz, eine mögliche neue Klimaregierung und was Kunst, Kultur und Politik von der Forschung lernen können.
 

INTERVIEW   Jens Thomas

 

CCB Magazin: Herr Schellnhuber, Sie gelten als einer der weltweit einflussreichsten Klimaforscher und blicken auf eine 40-jährige Laufbahn als Klimaexperte zurück. Sie haben, wenn ich richtig gerechnet habe, einen 13-jährigen Sohn. Läuft der denn schon bei den Protestaktionen von Fridays for Future mit?

Hans Joachim Schellnhuber: Oh ja, das macht er tatsächlich – ein aufgeweckter Bursche. Er interessiert sich allerdings noch mehr für politische Systeme und soziale Gerechtigkeit. Ich bin gespannt, welchen Weg er später einschlagen wird.

CCB Magazin:Sie haben 1992 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegründet, dessen Leitung Sie 2018 abgegeben haben. Es hat bis heute maßgeblichen Einfluss auf Wissenschaft und Politik. Sie haben das PIK einmal als Ihre größte Lebensleistung bezeichnet. Erinnern Sie sich noch an die ersten Gehversuche?

Hans Joachim Schellnhuber:Natürlich! 1990 war gerade der erste Bericht des Weltklimarates erschienen. Da wurde einigen klar, dass gehandelt werden muss. Klaus Hasselmann, der dieses Jahr den Physiknobelpreis als Klimamodellierer gewonnen hat, hatte damals angeregt, ein Institut für Klimafolgenforschung zu etablieren. Der damalige Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) holte mich dann 1991 als Gründungsdirektor des PIK nach Potsdam. Der menschengemachte Klimawandel war damals allerdings noch ein recht exotisches Thema. Ich spürte jedoch, dass das ein Jahrhundertthema werden würde. Und auch weil ich ab 1994 Angela Merkel in ihrer damaligen Funktion als Umweltministerin beriet, gewann das Institut stetig an Einfluss. Wir haben klein angefangen, mit rund 20 Mitarbeiter*innen. Anfangs saßen wir bizarrerweise in den Büros der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße. Glücklicherweise konnten wir dann auf den Potsdamer Telegrafenberg ziehen, wo früher Albert Einstein und andere Unsterbliche der Wissenschaft wirkten. Heute arbeiten am PIK mehr als 300 feste Mitarbeiter*innen und bis zu 100 Gastforscher*innen in fünf Häusern.

Deutlich unter 2 Grad zu bleiben werden wir nicht mehr schaffen. Mit der Stärkung der Kohlenstoffsenken durch Wiederaufforstung, einer Rückgewinnung von Feuchtgebieten und organischer Architektur können wir uns aber langsam wieder in einen erträglichen Temperaturbereich zurückarbeiten

CCB Magazin:2006 wurden Sie dann von Angela Merkel persönlich zum Klimaberater der Bundesregierung berufen. Die klimapolitischen Erfolge sind, wenn wir ehrlich sind, ernüchternd. Haben Sie die Regierung jahrelang falsch beraten oder hat man zu wenig auf Sie gehört?

Hans Joachim Schellnhuber:Weder noch. Angela Merkel hat die Thematik als Physikerin durchaus verstanden. Mit ihrer Partei war aber wohl nicht mehr zu machen. Das ist das Paradoxon wissenschaftlicher Beratung: Man kann auf Grundlage solider Forschung präzise feststellen, was zu tun wäre. Die Politik sucht aber in der Regel nach oberflächlichen Lösungen, weil der Wähler die Zumutung kurzfristiger Nachteile zugunsten langfristiger Vorteile sofort bestrafen würde. Und man hat über die Jahre schlichtweg die Kippelemente nicht ernst genommen, bei denen sich drastische Veränderungen ab einer bestimmten Temperatur unumkehrbar vollziehen – dazu gehören das Abschmelzen der Eisschilde, das Versiegen des Golfstroms oder die Chaotisierung des indischen Sommermonsuns. Als die Finanzkrise 2008 kam, war das Klimathema ohnehin vom Tisch. Erst jetzt erkennt man die Problematik parteiübergreifend. Darum habe ich die Hoffnung, dass die neue Regierung eine Klimaregierung werden könnte.

CCB Magazin:Ach ja?

Hans Joachim Schellnhuber:Das Sondierungspapier war zwar voller gequälter Kompromisse. Aber der Geist dahinter ist ein offener. Ich könnte mir vorstellen, dass man im Laufe der Legislaturperiode einige wegweisende Dinge in Gang bringt. Dazu gehört zum Beispiel der unvermeidbare Übergang zu einer regenerativen, biobasierten Kreislaufwirtschaft. Grundvoraussetzung dafür ist ein Transformationsministerium, das Energie, Industrie, Landnutzung, Bauen und Mobilität zusammenbringt. Ziel der nächsten Regierung muss die Klimaneutralität bis 2040 sein.

Prof. Dr. Schellnhuber. Bezeichnet sich selbst als zähen Niederbayern. Er forscht seit 40 Jahren zum Klimawandel. Foto © Paul Ponizak.

CCB Magazin:Sie waren einer der ersten, der eine Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad gefordert hat. Als Mitglied der deutschen Delegation waren Sie 2015 an der Aushandlung der Pariser Klimaziele von 1,5 bzw. 2 Grad maßgeblich beteiligt. Welche Hoffnung haben Sie, dass die Pariser Klimaziele noch erreicht werden?

Hans Joachim Schellnhuber:Deutlich unter 2 und sogar unter 1,5 Grad zu bleiben scheint mir momentan kaum noch realisierbar. Dazu müssten wir den Kohlenstoffdioxidgehalt in der Erdatmosphäre auf maximal 450 ppm begrenzen. Die globalen Emissionen müssten weit vor 2050 auf null sinken. Die Chance dafür liegt bei vielleicht fünf Prozent. Mich hat es ohnehin gewundert, dass die 1,5-Grad Leitplanke in Paris vereinbart wurde. Das war von Beginn an - verständliches – Wunschdenken. Ich gehe sogar davon aus, dass wir zwischenzeitlich über die zwei Grad hinausschießen. Mit der Stärkung der Kohlenstoffsenken durch Wiederaufforstung, einer Rückgewinnung von Feuchtgebieten und organischer Architektur können wir uns aber langsam wieder in einen erträglichen Temperaturbereich zurückarbeiten. Wenn gar nichts geschieht, wird die Erdtemperatur in den nächsten Hunderten von Jahren um bis zu acht Grad steigen, allein bis zum Ende dieses Jahrhunderts um vier Grad. Das wäre erdgeschichtlich so, als würden wir vor 30 Millionen Jahren leben, mit brutalen Wetterextremen und einem Meeresspiegelanstieg im Dutzendmeterbereich.

CCB Magazin:Herr Schellnhuber, unsere neue Ausgabe lautet „The Big Good Future“. Wir beschäftigen uns mit Nachhaltigkeitsstrategien in der Kultur und Kreativwirtschaft. Welche Rolle kommt Kulturschaffenden Ihrer Meinung nach im aktuellen Klima- und Nachhaltigkeitsdiskurs zu?

Hans Joachim Schellnhuber:Sie müssen sich aus ihrem Kiezlehnstuhl erheben und sagen: Wir machen das nicht mehr mit. Und wer, wenn nicht die Kunst- und Kulturschaffenden, können die dunklen Ecken der industriellen Moderne grell ausleuchten? Ich habe über Jahre selbst versucht, Kunst- und Kulturakteure für die Klimadebatte zu gewinnen – ohne nennenswerten Erfolg. Erst jetzt macht sich eine ganze Armada auf den Weg, um dem Klimawandel zu trotzen. Was wir brauchen, sind sektorübergreifende Innovationen. Der Übergang zu einer regenerativen Kreislaufwirtschaft ist unvermeidbar. Dazu kann die Kultur und Kreativwirtschaft einen entscheidenden Beitrag leisten.

Künstler und Kulturschaffende müssen sich aus ihrem Kiezlehnstuhl erheben und sagen: Wir machen das nicht mehr mit. Und wer, wenn nicht sie könnten die dunklen Ecken der industriellen Moderne grell ausleuchten?

CCB Magazin:Sie haben gerade das Projekt „Bauhaus der Erde“ auf den Weg gebracht, um den Holzbau über kreislauffähige Verfahren voranzubringen. Der Gebäudesektor verursacht 40 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Der Nachhaltigkeitsbegriff wurde 1713 von Hans Carl von Carlowitz mit der Forderung begründet, dass nur so viel Holz geschlagen werden solle wie natürlich nachwachsen könne. Sie als Klimaforscher fordern eine Rodung der Wälder?

Hans Joachim Schellnhuber:Nein, auf keinen Fall. Wir müssen insbesondere degradierte Flächen in aller Welt aufforsten, um darüber CO2 neu zu binden. Wälder nehmen fast ein Drittel der jährlich vom Menschen ausgestoßenen CO2-Mengen auf. Wir müssen uns jetzt von den Fehlern der Vergangenheit verabschieden, indem wir aufhören, Stahl und Beton zu verbauen, der nicht vernünftig wiederverwertet werden kann. Hier setzt auch unser Projekt „Bauhaus der Erde“ an: Wir wollen den Green Deal, den Umbau der gesamten Volkswirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit, mit dem Bauhaus-Konzept adressieren. Das Bauhaus entstand 1919. Es strebte nach Gesamtkunstwerken, die Architekten, Designer, Handwerker und Künstler zusammenführten. Diesen Ansatz müssen wir heute unter ökologischen Vorzeichen neu verfolgen.

CCB Magazin:Und das heißt jetzt?

Hans Joachim Schellnhuber:Das bedeutet, dass wir gezielt auf Holz, Bambus, Hanf, Lehm und andere Materialen ohne schweren CO2-Rucksack setzen. Unser Konzept sieht hierzu unter anderem vor, weit über 90 Prozent der baulichen Wertstoffe zu rezyklieren. Am Projekt „Bauhaus der Erde“ werden bald über 50 Wissenschaftler*innen, Bauexpert*innen und Kreative arbeiten. Im Zentrum steht die Vision einer organischen Architektur, deren nachwachsende Rohstoffe einer klug bewirtschafteten Biosphäre im dynamischen Gleichgewicht entnommen werden. Das setzt einen attraktiven Nachfragemarkt für den Waldbestand voraus, der sich trotz Nutzung positiv entwickelt. Die geerntete Biomasse wird in langlebigen Produkten wie Brettsperrholz oder chemiefreien Möbeln gespeichert. Damit entziehen wir der Erdatmosphäre wieder einen Teil des CO2, das durch die fossile Energiewirtschaft ausgestoßen wurde. Im Endeffekt können wir so signifikante Mengen des Kohlenstoffbudgets freigeben, das wir weltweit noch haben, um die Erderhitzung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen.

CCB Magazin:Autoren wie Peter Wohlleben würden Ihnen widersprechen. Er fordert, dass wir Wald nicht roden dürfen, sondern natürlich wachsen lassen müssen, um den Waldbestand als Kohlenstoffspeicher zu stärken. Architekten wie Daniel Fuhrhop wenden sich sogar gänzlich vom Neubau ab – es müsse um den Umbau des bisherigen Bestandes gehen. Und Gegner der Kreislaufwirtschaft argumentieren, dass sie nicht vom Überkonsum abrücke. Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech fordert in dieser Ausgabe eine drastische Reduktion von Konsum und Produktionsleistungen. Nur so habe eine nachhaltige Gesellschaft eine Chance.

Hans Joachim Schellnhuber:Das ist jetzt ein ganzer Reigen an falschen bzw. fragwürdigen Aussagen! Wie viele Druckseiten geben Sie mir für die Entgegnung? Lassen Sie mich in aller Kürze Folgendes klarstellen: Natürlich muss neu gebaut werden, wenn die zusätzlichen zwei Milliarden Menschen, die bis 2050 auf diesem Planeten erwartet werden, ein Zuhause finden sollen. Außerdem leben Milliarden der jetzigen Erdenbürger noch in informellen bzw. elenden Siedlungen. Das zu ignorieren, wäre postkoloniale Arroganz. Im Übrigen ist auch das wohlhabende Deutschland vollgestellt mit hässlichen, dysfunktionalen Nachkriegsbauten, die ersetzt werden müssen. Und was die neumodische Försterromantik angeht: Seit 1.000 Jahren oder mehr bewirtschaften wir Waldökosysteme, und das geht durchaus nachhaltig. Was die Naturpuristen verkennen ist, dass ein sich selbst überlassener Wald irgendwann den Klimax-Zustand erreicht und dann kein CO2 mehr bindet. Durch das wertschöpfende Auskoppeln von Biomasse wird dagegen so etwas wie eine permanente Pumpe für „negative” Emissionen in Gang gesetzt. Und für die Kreislaufwirtschaft gilt: Natürlich sollten sich auch die Zirkulationsfreunde vor Augen führen, dass alle vitalen Kreisläufe auf Erden nur partiell geschlossen werden können. Ohne den beständigen Zufluss von Sonnenenergie geht aber gar nichts. Und wenn wir letztere ausgiebig nutzen, können wir uns als Zivilisation auch in größeren Quasi-Zirkeln drehen.

CCB Magazin:Herr Schellnhuber, wir thematisieren in unserer neuen Ausgabe die Nachhaltigkeitsfrage in den verschiedenen Kultursektoren. Auffällig ist, dass Kunst oft radikalen Verzicht übt, während die Kreativwirtschaftssektoren nachhaltige Lösungen unternehmerisch angehen. Als junge Klimaktivist*innen letztes Jahr in den Hungerstreik getreten sind, haben Sie eine Beendigung gefordert – stellten aber klar, dass Sie sich selbst einen Hungerstreik als letzte Konsequenz vorstellen könnten. Müssen wir uns Sorgen um Sie machen?

Hans Joachim Schellnhuber:Nein, zumindest noch nicht (lacht). Ich bin außerdem ein zäher Niederbayer und würde vermutlich lange ohne Essen auskommen. Mein offener Brief an die Hungerstreikenden war eine ethische Notwendigkeit, denn es ging tatsächlich um Leben und Tod.

CCB Magazin:Abschließende Frage: Wir radikal müssen Kunst und Kultur sein, um etwas bewegen zu können?

Hans Joachim Schellnhuber:Kunst und Kultur müssen den Dingen auf den Grund gehen, auch dorthin, wo es schmerzhaft kalt und schmutzig ist. Zugleich bestürzt es mich, wenn junge Menschen in den Hungerstreik treten. Die sollten sich in diesem Alter verlieben, Spaß haben und kühne Pläne schmieden. Aber als Greta Thunberg vorletztes Jahr in mein Büro kam, wurde mir klar, dass die jungen Menschen heute die Last der Zukunftsverantwortung auf sich nehmen, weil die konventionelle Politik diese Verantwortung allzu lange gescheut hat. Und auch viele Kulturschaffende sind inzwischen bereit, diese Last mitzutragen. Wir haben jetzt noch ein Jahrzehnt, um die Weichen umzustellen. Tun wir unsere Pflicht der Menschlichkeit.


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Category: Innovation & Vision

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