Nachhaltigkeit
Viktoria Kanar: "Unser Verfahren ähnelt der Herstellung eines Bieres"
Viktoria Kanar hat das Biotech-Unternehmen Re-Fresh Global gegründet, um Alttextilien wieder …
Auf Festivals entstehen bis zu 15 Kilogramm Müll pro Kopf, im Durchschnitt sind das 37 kg CO₂ pro Teilnehmer. Wie lässt sich die Müllproduktion vermeiden? Das Unternehmen foom hat dafür die foom-Technologie entwickelt, worüber sich biologische Abfälle vor Ort in wertvollen Dünger verwandeln lassen. Ist das die Lösung?
CCB Magazin:Hallo Anike und Kathrin, weniger Emissionen, bessere Böden, mehr Biodiversität. Die foom-Technologie gewinnt wertvollen Dünger aus organischem Abfall. Könnt Ihr mal erklären, wie genau eure Technologie funktioniert?
Kathrin Weiß:Na klar, mit der foom-Technologie werden biologische Abfälle vor Ort in wertvollen Dünger umgewandelt. Das passiert mit Hilfe einer einzigartigen Mischung von Mikroben, die 30-mal schneller als bei der industriellen Kompostierung Müll umwandeln können und den CO2-Fußabdruck dadurch erheblich optimieren. Denn das Problem ist bislang, dass auf Veranstaltungen etc. das meiste im Restmüll landet. Und das Neue an unserer Lösung ist: Der organische Abfall kann nun gemeinsam mit den Speiseresten kompostiert werden.
CCB Magazin:Das heißt, es handelt sich hier ausschließlich um die Umwandlung von organischem Abfall?
Anike von Gagern:Ganz genau. Über unsere Technologie werden speziell natürliche Kompostierungsprozesse beschleunigt und vor Ort eingesetzt. Aktuell speichert der Boden nämlich mehr als dreimal so viel CO2 wie die Erdatmosphäre, doch der Anteil sinkt kontinuierlich. Wir wollen über foom darum die Qualität unserer Oberböden verbessern und den Einsatz von Kunstdünger reduzieren. Man muss wissen: Der organische Abfall konnte bislang nicht gemeinsam mit den Speiseresten kompostiert werden, weil die bisherigen Kompostierungsanlagen in der Regel nur reine Abfälle nehmen. Und selbst bei reinen organischen Bioabfallanlagen sind die Abfälle meist noch zu durchmischt für die Biogasanlagen, um daraus Dünger zu machen – oft fahren die Festivalbetreiber auch die Anlagen ab, um eine entspreche Biogasanlage zur Entsorgung des Bioabfalls zu finden. Aber das ist nicht nur aufwendig, es stößt auch immens viel CO2 aus. Hier kommen wir ins Spiel.
Kathrin Weiß: Mit der foom-Technologie werden biologische Abfälle in wertvollen Dünger umgewandelt - das passiert mit Hilfe einer einzigartigen Mischung von Mikroben, die 30-mal schneller als bei der industriellen Kompostierung Müll umwandeln können und den CO2-Fußabdruck erheblich optimieren
CCB Magazin:Und wie genau? Wie funktioniert foom ganz konkret?
Kathrin Weiß:Unsere Technologie besteht aus drei Bausteinen: Erstens muss der Müll zersetzt werden. Dazu sorgt eine foom-proprietäre Mischung natürlicher Mikroorganismen für die effiziente Umsetzung einer Vielzahl unterschiedlicher Substrate – dazu zählen Speisereste und kompostierbares Einweggeschirr und -besteck aus Holz, Pappe, Palmblatt oder Maisstärke. Wir nutzen dafür die natürlich vorkommenden Mikroorganismen, die Bioabfälle unter geeigneten Bedingungen mit Enzymen aufschließen und für sich selbst zum Wachstum nutzbar machen. Diesen Prozess bezeichnet man auch als mikrobielle Hydrolyse. Im zweiten Schritt kommt der foom-Reaktor zum Einsatz. Dieser rührt die Mischung um. Der Reaktor spielt für die effiziente Hydrolyse eine wesentliche Rolle, da darüber eine möglichst intensive Interaktion zwischen den Mikroorganismen und der Substratmatrix gewährleistet werden kann. Drittens treibt die foom-Prozesssteuerung den mikrobiell getriebenen Zersetzungsprozess voran – dazu gehören die Einhaltung eines bestimmten pH-Wertebereichs, der Austausch von Gasen und die Verhinderung von allzu großen Schwankungen in der mikrobiellen Zusammensetzung. Insbesondere die Versorgung mit Sauerstoff ist dabei wichtig: Erst darüber setzt der Prozess der Kompostierung ein, woraus zum Schluss Dünger entstehen kann.
CCB Magazin:Wenn ich als Festivalbetreiber Interesse an eurer Technologie hätte, wie kommen wir ins Geschäft?
Anike von Gagern:Sprich uns an, dann kommen wir ins Gespräch. Und wenn unsere Technologie zum Einsatz kommt, müssen eure Caterer zunächst kompostierbares Einweggeschirr einsetzen und die Zuschauer ihre Essensreste inklusive der kompostierbaren Teller, Schüsseln, dem Besteck und Servietten in dafür vorgesehene foom-Tonnen werfen, die wir bereitstellen – die Backstage-Küchenabfälle kommen noch hinzu. Das Ganze wird im Anschluss in unser vor Ort platziertes Container-basiertes foom-System gebracht. Und nach zwei Tagen wird aus dem Bioabfall Dünger, der sich verwerten lässt und dafür sorgt, dass der Boden gesund bleibt.
CCB Magazin:Klingt spielerisch einfach. Warum kommt eure Technologie bislang noch nicht flächendeckend zum Einsatz?
Kathrin Weiß:Wir fangen gerade erst an, unsere Technologie wurde erst einmal pilotiert. Das war auf den MediMeisterschaften in Obermehler bei Erfurt – das Festival ging drei Tage, es kamen 25.000 Teilnehmer*innen. Aktuell arbeiten wir zudem an einer Kooperation mit einem Bundesligisten, deren Namen ich noch nicht nennen kann. Man muss wissen: Bislang konnten organische Abfälle in Europa einfach so entsorgt werden, ohne Rücksicht auf die Umwelt. Ab 2024 wird das anders sein: Überall in Europa ist es dann Pflicht, den organischen Abfall getrennt zu entsorgen. Das wird uns natürlich in die Karten spielen.
Anike von Gagern: Bislang konnten organische Abfälle in Europa ohne Rücksicht auf die Umwelt entsorgt werden. Ab 2024 wird das anders sein: Überall in Europa ist es dann Pflicht, den organischen Abfall getrennt zu entsorgen - das spielt uns in die Karten
CCB Magazin:Gibt es eine bestimmte Mindestgröße, ab wann sich der Einsatz eurer Technologie überhaupt erst lohnt?
Anike von Gagern:Das würden wir nicht sagen, unsere Lösung kann praktisch überall dort zum Einsatz kommen, wo es Starkstrom und Zugang zu Wasser gibt. Allerdings eignet sich der Einsatz besonders dann, wenn mehrere Festivals in Folge geplant und an einem Standort umgesetzt werden. Denn es dauert ein paar Tage, bis der Reaktor voll effektiv ist, das mikrobielle Milieu muss sich sozusagen erst einspielen. Besonders geeignet sind darum Plätze mit einer recht hohen Besucherzahl über einen relativ langen Zeitraum. Denkbar sind auch Museen o.ä. mit einer hohen Besucherzahl über das Jahr verteilt.
CCB Magazin:Und wie viel CO2 lässt sich am Ende einsparen?
Kathrin Weiß:Das kommt darauf an. An Orten wie zum Beispiel in den USA mit einem Großteil offener Deponien reden wir über zwei Tonnen CO2-Equivalente pro Tonne Müll, die mit Hilfe unserer Technologie eingespart werden können. Das entspricht einer Menge, die 33 Bäume, die zehn Jahre lang gewachsen sind, aufnehmen können. In Deutschland, wo es viele industrielle Kompostierungsanlagen gibt, sind wir bei rund einem Zehntel. Europa liegt im Durchschnitt dazwischen.
CCB Magazin:Und was kostet mich das Ganze?
Anike von Gagern:Ein Veranstaltungsort in der Größenordnung eines Stadions würde in etwa das Gleiche bezahlen wie für die Entsorgung des Bioabfalls – im Unterschied nur, dass man zum Schluss Dünger hat. Bei 80 Tonnen organischen Abfällen im Jahr würde sich das in etwa auf 20.000 Euro belaufen. Das gilt natürlich nur bei der jetzigen Maschinengröße, die in den nächsten Jahren sicherlich nach unten variieren kann. Unabhängig von der Reaktorgröße lässt sich der CO2-Fußabdruck aber jetzt schon deutlich verbessern.
CCB Magazin:Die größten CO₂-Emittenten bei einer Veranstaltung sind Mobilität, insbesondere die Anreise der Fans, Energie und Ernährung. Alles zusammen macht rund 90 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen eines Events aus. Reden wir hier nicht über eine Marginalie?
Kathrin Weiß:Das denken wir nicht. Denn wir produzieren ja immer mehr Müll. Im Jahr 2016 wurden laut der Weltbank weltweit rund 2,02 Milliarden Tonnen Müll produziert. Für das Jahr 2050 wird eine weltweite Abfallmenge von rund 3,4 Milliarden Tonnen erwartet. Und auf Festivals entstehen heute schon bis zu 15 Kilogramm Müll pro Kopf. Das ist nicht unerheblich. Und hierzu brauchen wir Lösungen.
Kathrin Weiß: An Orten mit offenen Deponien können wir über zwei Tonnen CO2-Equivalente pro Tonne Müll mit unserer Technologie einsparen. Das entspricht ungefähr 33 Bäumen, die zehn Jahre lang gewachsen sind
CCB Magazin:Könnt ihr mal schildern, wie die Idee aufkam? Habt ihr vorher schon in artverwandten Berufen gearbeitet?
Anike von Gagern:Wir sind drei Gründer und haben einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund, dazu Gründungs- und Skalierungserfahrung. Außerdem sind sechs Ingenieur*innen mit an Bord – die braucht es, um Spezialisierungen in den Bereichen Bioprozess, Daten und Software einzuleiten. Und die Idee kam auf, als wir angesprochen wurden, ob wir nicht bei der Vermarktung von Palmblattgeschirr helfen könnten. Wir dachten uns, gerne. Uns wurde aber schnell klar, dass kompostierbares Geschirr so wie anderes Einweggeschirr üblicherweise in der Verbrennung oder auf einer Deponie landet – darum haben wir nach einer kreislauffähigen Lösung gesucht. Wir haben uns dann an die TU Berlin gewendet, konkret an den Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik von Prof. Neubauer. Und gemeinsam mit Prof. Junne haben wir ein Projekt aufgesetzt, um die mikrobielle Zersetzung von organischen Abfällen zu erforschen. Seitdem entwickelten wir – mit inzwischen noch mehr Partnern – das, was heute die foom-Lösung ist.
CCB Magazin:Gibt es Anbieter, die ähnliche Verfahren anbieten? Und wie setzt ihr euch gegen die Konkurrenz durch?
Kathrin Weiß:Bislang gibt es keine vergleichbaren Anbieter. Natürlich gibt es die herkömmlichen Abfallentsorger, die Bioabfälle in industriellen Kompostierungsanlagen oder Biogasanlagen entsorgen. Aufgrund der neuen EU-Regulationen zur Getrenntsammlung und -verarbeitung von Bioabfällen ist auch klar, dass diese Kapazitäten in der EU bis 2035 verdoppelt werden müssen. Wir sehen unsere Lösung hierzu aber nicht als Konkurrenz, sondern als Beitrag zu dieser Verdopplung. Zum anderen gibt es bereits eine Reihe von Schnellkompostierern, die mit dezentralen Ansätzen operieren. In diesem Bereich existieren bislang allerdings nur Technologien, die entweder nur für sehr kleine Mengen ausgelegt sind, relativ lange dauern, die EU-Regularien nicht erfüllen oder eine schlechte CO2-Bilanz haben.
CCB Magazin:Wie wollt ihr euch als Unternehmen weiterentwickeln? Was plant ihr alles in der Zukunft?
Anike von Gagern:Oh, eine Menge. Zunächst möchten wir im Sommer mit unserem Pilotkunden, dem bereits angekündigten Fußballbundesligisten, unsere erste industrielle Maschine live bringen – um basierend darauf innerhalb Europas zu wachsen. Zur weiteren Skalierung möchten wir dann in die USA gehen, da dort immer noch der größte Teil des Biomülls auf Deponien landet und somit unsere Klimakrise verstärkt, statt zu ihrer Lösung beizutragen. Wir haben viel zu tun. Wir machen jetzt einfach weiter.
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