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NewStarters: "Wir nennen das gelenkte Integration"

NewStarters: "Wir nennen das gelenkte Integration"
Foto: © privat

Diar Khal (Foto) hatte mit seinen Brüdern Al und Joudi Khal eine Idee: Sie haben die Plattform NewStarters ins Leben gerufen, um die Integration geflüchteter Menschen nach Deutschland zu erleichtern - und wurden dafür mit dem Kultur- und Kreativpilotenpreis 2024 ausgezeichnet. Wie funktioniert die Plattform? 
 

INTERVIEW  Boris Messing

 

CCB Magazin:Hallo Diar und Al, zusammen mit eurem Bruder Joudi habt ihr die Plattform NewStarters ins Leben gerufen, um die langfristige Integration geflüchteter Menschen nach Deutschland zu erleichtern. Jetzt seid ihr dafür mit dem Kreativpilotenpreis 2024 ausgezeichnet worden. Was hat sich dadurch für euch verändert?

Diar Khal: Für uns war es ein großer Schritt, selbst von Flucht betroffen gewesen zu sein und jetzt die Möglichkeit zu haben, anderen zu helfen und den steinigen Weg der Integration zu ebnen. Wir haben ein sehr gutes Feedback für unsere Idee bekommen und sehen uns mittlerweile in der Verantwortung, unser Angebot auch auf andere Migrantengruppen zu erweitern, also über die kurdische, syrische oder arabische Community hinaus. Beispielsweise haben uns viele Anfragen aus der Ukraine erreicht – auch denen wollen wir zu einer besseren Integration verhelfen. 

Al Khal:Die Auszeichnung haben wir erst vor kurzem bekommen, darum hält sich die Aufmerksamkeit noch in Grenzen. Aber unser Netzwerk hat sich stark erweitert. Wir haben bei der Preisverleihung im Dezember potentielle Partner kennengelernt und Gespräche mit Lokalpolitikern geführt, für die unsere Plattform interessant ist. 

Unsere Plattform ist ein Navigator, der eine individuelle Roadmap erstellt, wie man Behördengänge, Sprachkurse, Bewerbungen oder ähnliches meistert



CCB Magazin:
Flucht ist immer mit Härten verbunden. Was sind die drängendsten Probleme, mit denen Menschen nach Ankunft in Deutschland konfrontiert sind? Wobei könnt ihr ihnen helfen und wo liegen die Grenzen des Machbaren?

Al Khal: Mit unserer Idee für die Plattform NewStarters beschäftigen wir uns seit drei Jahren intensiv mit diesem Thema und haben nach Gesprächen mit hunderten von Menschen folgende Kernprobleme identifiziert: Desinformationen und Unkenntnisse des deutschen Systems, Überflutung mit Informationen und Sprachbarrieren. Gerade Desinformation ist ein großes Problem. Wir haben beispielsweise eine Frau betreut, die meinte, sie hätte zwei Jahre lang auf ihre Anerkennung ihrer Ausbildung gewartet. Aber als sie dann einen Job gefunden hatte, sagte ihr Arbeitgeber, dass sie gar keine Anerkennung gebraucht und gleich zu arbeiten anfangen gekonnt hätte. Sie hatte also zwei Jahre durch Falschinformationen verschwendet. Solche Probleme wollen wir in Angriff nehmen. Wir können 80 Prozent der Geflüchteten helfen. Aber Menschen, die traumatisiert sind oder schwere Körperverletzungen haben, denen können wir leider nicht helfen, da stoßen wir an unsere Grenzen.

CCB Magazin:Auf eurer Plattform bietet ihr Unterstützung für zentrale Säulen eines modernen Lebens an: Jobfindung, Versicherungen, Behördengänge, Bildungsmöglichkeiten etc. Wie funktioniert eure Plattform im Detail? 

Diar Khal: Erst einmal muss ich sagen, dass die Plattform NewsStarters, so wie sie jetzt existiert, in Zukunft durch ein anderes, verbessertes Modell ersetzt werden wird. Anfangs war unsere Idee, die verschiedenen Phasen des Integrationsprozesses abzubilden. Deshalb haben wir die Plattform in die derzeit vorhandenen drei Bereiche ‚Anbieten und Suchen‘, ‚Soziales‘ und ‚Schaffe es in Deutschland‘ aufgeteilt. Jeder dieser Bereiche spiegelt einen Teil des Integrationsprozesses wider. 

Al Khal: Seit acht Monaten entwickeln wir eine Software, wo wir die Menschen noch direkter vom ersten Punkt der Integration bis zum Ende begleiten wollen. Wir nennen diese Softwarelösung Navigator oder gelenkte Integration. Über ein Formular – mehrsprachig verfügbar – werden den geflüchteten Menschen Fragen gestellt und über ihre Antworten Ziele und Bedürfnisse eruiert. Zum Beispiel: Was will ich in Deutschland machen - studieren, eine Ausbildung absolvieren, eine Arbeit finden? Der Navigator entstellt anhand der Antworten eine individuelle Roadmap, wie man dorthin gelangt, wo man hinkommen will, was es dafür braucht und wie viel Zeit das ungefähr in Anspruch nimmt. Das beinhaltet Behördengänge, Sprachkurse, Bewerbungen usw. Wir wollen die Befragung über einen Chatbot oder Avatar gestalten, wofür wir teils auch Machine Learning anwenden werden. Man kann dann quasi mehrere Gespräche mit dem Avatar führen und ihm seine Probleme und Ziele erklären. Durch die Daten lernt der Avatar dazu und verbessert sich in seinen Antworten. 

CCB Magazin:Das heißt also, dass NewStarters eine Vermittlerrolle zwischen Behörden, Arbeitgebern oder Vermittlern von Sprachkursen einnimmt?

Diar Khal: Genau. Der Navigator wird über eine Schnittstelle mit den Behörden, beispielsweise der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter, verbunden sein. So können die Behörden Anliegen schneller und direkter bearbeiten. Das gleiche gilt für die Vermittlung von Jobs oder Sprachkursen.

CCB Magazin:Habt ihr Zahlen, wie viel Menschen ihr durch eure Plattform bereits geholfen habt?

Al Khal:Bis jetzt haben wir mit der alten, aktuellen Plattform und dem neu entwickelten, sich in der Betaphase befindenden Navigator knapp tausend Menschen erreicht. Leider ist unser Navigator aber noch anfällig für Fehler, darum benutzen ihn derzeit nur Testuser. Wenn die Fehler beseitigt sind, werden wir die neue Plattform launchen. 

CCB Magazin:Menschen zu integrieren ist eine komplexe Aufgabe, die zu einem großen Teil in den Kommunen passiert. Arbeitet ihr bereits mit diesen zusammen? Wären das nicht natürliche Verbündete für euch?

Al Khal: In der Theorie: ja. Vor kurzem war ich auf Einladung des Kanzleramts in Schwerin zu einer zweitägigen Zusammenkunft, wo über die Digitalisierung der Kommunalverwaltungen gesprochen wurde. Da ging es jedoch fast nur darum, die digitale Vernetzung innerhalb der Verwaltungen voranzutreiben, aber nicht darum, digitale Lösungsansätze von Verwaltungen zu Menschen zu finden. Genau das bieten wir an. Die Kommunen trauen sich aber noch nicht, solche Lösungen auszuprobieren. 

CCB Magazin:NewStarters finanziert sich über die Vermittlung von Fachkräften, wofür die nutznießenden Unternehmen eine Gebühr bezahlen. Man sollte meinen, dass das ein Selbstläufer ist angesichts des Fachkräftemangels. Ist das auch so?

Al Khal: Viele Flüchtlinge kommen schon mit einer Ausbildung oder einem abgeschlossenen Studium nach Deutschland, und viele sind sogar überqualifiziert für die Jobs, die sie angeboten bekommen. Doch leider sind viele Unternehmen zu anspruchsvoll und nicht offen für neue Kulturen. Geflüchtete werden oft als Menschen zweiten Grades behandelt. 

Diar Khal: Es ist immer die Rede von klugen Köpfen und helfenden Händen, die gebraucht werden, aber die Menschen, die Geflüchteten, werden oft nicht verstanden. Und so lange sie nicht verstanden werden, fühlen sie sich nicht wohl. Egal, wie groß der Arbeits- oder Fachkräftebedarf ist, man muss diese Menschen verstehen und auf sie zugehen. Das machen die Unternehmen aber nicht. Sie haben Vorurteile und sind zu keinen Zugeständnissen bereit. 

CCB Magazin:Laut Mid Year Trend-Report von UNHCR waren im Juni 2024 weltweit 122,6 Millionen Menschen auf der Flucht. Allein in Deutschland lebten im gleichen Jahr 2,7 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende. Ihr seid selbst vor zehn Jahren nach Deutschland geflüchtet. Wie habt ihr diese Zeit erlebt?

Al Khal:Wir sind Kurden aus dem Norden Syriens. Als der Bürgerkrieg tobte, waren wir eine Woche lang ohne Strom und ohne Wasser. Das hat unser Leben geprägt, wir mussten lernen, um es zu kämpfen. Es war sehr hart für uns, das Land verlassen zu müssen. Mein Vater war Mediziner, durch ihn hatten wir einen guten Lebensstandard, auch wenn wir als Kurden unter zahlreichen Diskriminierungen zu leiden hatten. Bis zum Sturz des Assad-Regimes habe ich mich eigentlich nie als Syrer gesehen, jetzt fühle ich mich zum ersten Mal als Syrer. Wir flohen zuerst in die Türkei und zwei Jahre später dann nach Deutschland, wo ich mein BWL-Studium fortgeführt und abgeschlossen habe.

Diar Khal: Ich war damals dreizehn, als wir 2014 in die Türkei und dann nach Stuttgart kamen. Ich musste zum dritten Mal meinen Realschulabschluss wiederholen und habe später mein Fachabi nachgemacht, um eine Ausbildung zum Fachinformatiker machen und Informatik studieren zu können. 

CCB Magazin:Welche Forderungen habt ihr an die Politik? Was muss sich hinsichtlich einer besseren Integration ändern?

Al Khal: Wir wollen kein Geld, aber verlangen mehr Mut. Die Realität und die Regularien in Sachen Integration stimmen oft nicht überein. Wir werden oft gefragt, warum wir unser Unternehmen in Form einer Unternehmensgesellschaft gegründet haben und nicht als gemeinnützige GmbH funktionieren. Ganz einfach: Wenn man gemeinnützig ist, finanziert man sich oft durch Fördergelder oder Ausschreibungen. Wir wollen aber nicht Teil des Systems sein, sondern das System verändern. Impact ist uns wichtiger als Geld.

CCB Magazin:Ihr habt den Kreativpilotenpreis gewonnen. Aber was hat eure Arbeit eigentlich mit der Kreativwirtschaft zu tun?

Al Khal: Die Kernprobleme, die ich oben erwähnt habe und die wir in der Praxis als zentral identifiziert haben, um Menschen bei der Integration zu helfen – diese zu lösen und in einer Plattform zu vereinen, das braucht Kreativität. Mit unserer digitalen Lösung werden die Kommunen in der Lage sein, viele Beratungsstellen abzuschaffen. Unsere Lösung ist schneller und effizienter als der vorherige, zu stark regulierte Weg. 

Diar Khal: Kreativität wird bei uns so gelebt, dass wir als Team radikale Neudenker sind. Wir wollen eine Lösung schaffen, die wirtschaftlich gewinnbringend und sozial nachhaltig ist.

CCB Magazin:Wie sieht eure langfristige Planung mit NewStarters aus? 

Al Khal:Wir wollen den Navigator ins Zentrum unserer Dienstleistung stellen, womit die jetzige Plattform obsolet würde. Aber so lange unser Produkt noch nicht fertig ist, bleibt die alte Plattform bestehen und man kann sie auch weiterhin benutzen. Alles wird dann in den Navigator implementiert sein. Langfristig würden wir gerne ein vollständiges Ökosystem zu allen Fragen und Problemen einer nachhaltigen Integration aufbauen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.


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