Finanzierung
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Ägypten ist nur vier Stunden Flugzeit von Deutschland entfernt. Mit einem Panorama von 23 Metern Durchmesser haben die Fotografen Bernd und Angelika Kohlmeier den Tahrir-Platz nach Berlin geholt. Selbst finanziert flog das Fotografenpaar im Jahr 2011 nach Kairo und hat die Revolution in Bildern eingefangen: Auf was hoffen die Ägypter? Was können wir von der Revolution lernen? Und was kann Kunst im Friedensprozess leisten, was sonst nicht zu schaffen wäre? Creative City Berlin sprach mit Angelika Kohlmeier.
CCB Magazin: Frau Kohlmeier, Sie haben die Hoffnungen der Ägypter im Aufstand im Jahre 2011 porträtiert: Auf was hoffen die Ägypter Ihrer Meinung nach?
Angelika Kohlmeier: Sie wünschen sich eine Demokratie, ein demokratisches Land. Ein Land, in dem sie sich frei bewegen können, in der jeder und jede nach seiner Fasson leben kann, ein Land ohne Korruption, in der man sich ausbilden lassen kann und in dem man zufrieden ist und in Frieden lebt. Da arbeiten die Ägypter gerade dran.
CCB Magazin:Vor einem Jahr schien in nahezu 18 Tagen der drei Jahrzehnte lang herrschende Machtapparat Mubaraks zu zerfallen - das korrupte Regime lag am Boden, die Ägypter tanzten, Mubarak stürzte, nun sind Teile des alten Mubarak-Regimes noch immer an der Macht und dem Volk geht es wirtschaftlich weiterhin schlecht. Ist das schon der Anfang vom Ende?
Angelika Kohlmeier:Nein! Diese Revolution ist nicht mehr umkehrbar. Das ist erst der Anfang. Das, was die jungen Menschen durch die Revolution bereits jetzt erreicht haben, das lassen sie sich nicht mehr wegnehmen, nicht jetzt und auch nicht in den kommenden Jahren. Aber ein demokratischer Umschwung ist immer ein Prozess, Umwälzungen brauchen immer länger, das sieht man ja auch an der deutschen Revolution.
Die Revolution ist nicht mehr umkehrbar. Das ist erst der Anfang
CCB Magazin:Welche Revolution, habe ich was verpasst?
Angelika Kohlmeier:Ich meine den Mauerfall 1989. Der Prozess der Einheit dauert bis heute an, wir haben noch immer keine Einheit. Ein Land kann man eben nicht von heute auf morgen umbauen.
CCB Magazin:Sie haben 50 Frauen und Männer in Form von Bildern in ihrer Ausstellung über ihre Hoffnungen sprechen lassen. Einer der porträtierten ist Ahmed, der nach einer Kopfverletzung einen Kochtopf als Stahlhelmersatz trug. "Wahre Demokratie" steht auf seinem Schild. Wie sieht Ihrer Meinung nach "wahre Demokratie" aus?
Angelika Kohlmeier:Als wir beschlossen haben nach Ägypten zu fahren, um die Ägypter in ihrem Kampf zu unterstützen, habe ich mir selbst seit langem diese Frage gestellt. Ich habe dort erfahren können, wie ein Volk derart überzeugt an einem Demokratisierungsprozess teilnimmt, die Ägypter sind mit völliger Energie geladen. Dieses Engagement, das ist der Weg in eine wahre Demokratie, in der irgendwann jeder und jede gleichberechtigt leben kann. Deshalb ist es auch so wichtig, dass man diesen Demokratisierungsprozess von hier aus unterstützt, von Europa.
CCB Magazin:Mit 508 Männern und fünf Frauen hat Ägypten gerade sein erstes frei gewähltes Parlament gewählt. Für viele Frauen bedeutet die Wahl aber einen Rückschritt - nie waren sie in der Politik so marginalisiert wie heute, eine Frauenquote wie unter Mubarak gibt es nicht. Ist die Revolution in diesem Punkt ein Rückschritt?
Angelika Kohlmeier:Die Ägypter sehen das vermutlich erst einmal entspannter als wir selbst. Schauen Sie, es gab dort zum ersten Mal freie Wahlen und daraus hat sich eben diese Zusammensetzung ergeben. Die Ägypter sind erst einmal heil froh darüber, dass es überhaupt eine solche Situation gibt, wenngleich der Demokratisierungsprozess noch immer begleitet wird von den Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und dem Militärrat, der die Macht nicht abgeben will. In Ägypten muss man aber erst einmal die Demokratie verankern, der Prozess ist aber kein Rückschritt, im Gegenteil: Die Ägypter werden solange auf die Straße gehen, bis die letzten aus den alten Machtapparaten verschwunden sind.
CCB Magazin:Drei Viertel der 498 neu gewählten Abgeordneten sind Islamisten. Der Journalist Karim El-Gawhary sprach kürzlich in einem Taz-Artikel von einem "Testfall, wie Islamisten und Demokratie zusammenpassen". Passt es Ihrer Meinung nach?
Angelika Kohlmeier:Erst einmal würde ich zumindest die Muslim-Brothers nicht als Islamisten bezeichnen. Aber sie stellen noch immer die mächtigste Fraktion im Parlament. Wir selbst hatten mit diesen Gruppen während unseres Aufenthalts in Kairo auch immer wieder Kontakt. Die meisten Ägypter verteidigen heute die Maxime "one hand, civil state", einen islamistischen Staat wollen die Ägypter selber nicht. Sie wollen gemeinsam in einer Demokratie leben - Christen und Muslime. Ich denke schon, dass dieser Testfall gelingen kann.
Über Kunst öffnen sich die Menschen, über Kunst kann man ganz neu und anders reflektieren. Der Betrachter entscheidet für sich, was er damit macht
CCB Magazin:Die Süddeutsche Zeitung sprach von einer großen Uneinigkeit in der Bevölkerung in Bezug darauf, in welche Richtung die Gesellschaft gehen soll - die einen feiern, die anderen protestieren weiter gegen den Militärrat. Wie sind ihre Eindrücke gewesen?
Angelika Kohlmeier:Man muss sagen, dass wir kurz nach der Revolution nach Kairo gereist sind, da war in der Stadt eine unglaubliche Stimmung. Es war vergleichsweise wie hier beim Mauerfall 1989. Das Problem ist nur, dass nach einer Weile wieder Ernüchterung einkehrt und das Kollektiv wieder zerfällt.
CCB Magazin:Nach der Einheit kommt der Zwiespalt?
Angelika Kohlmeier:So in etwa. Die Ägypter müssen ihren Weg in Freiheit und Demokratie erst finden, da sind die Interessen eben sehr unterschiedlich. So wurde die ehemals regierende Nationaldemokratische Partei, die NDP, zwar aufgelöst, auch Husni Mubarak, seine beiden Söhne und prominente Politiker und Großunternehmer sind unter Anklage gestellt worden. Es sitzen aber immer noch bis zu 100.000 Machthaber in den verwaltenden Strukturen. Das können sie nicht einfach von heute auf morgen so austauschen.
CCB Magazin:Sie bebildern die ägyptische Revolution und fangen kritische Stimmen via Kunst ein. Ist Kunst für sie ein Mittel, um über Missstände aufzuklären?
Angelika Kohlmeier:Ich würde sagen: ja. Mein Mann und ich haben mit der Studie Kohlmeier einen Weg gefunden, um über Kunst aufzuklären und Debatten loszutreten. Auch mit unserem Projekt der Ausstellung "Politik ungeschminkt", mit der wir 16 Bundestagsabgeordnete im Alltag begleitet haben, konnten wir feststellen, dass ein Großteil der Politiker gar nicht so abgehoben und volksfern ist, wie man das immer annimmt. Kunst ist ein gutes Mittel, um einen Zugang zu verschaffen, den es sonst nicht gibt.
CCB Magazin:Kunst kann also etwas transportieren, was mit anderen Mitteln nicht möglich ist?
Angelika Kohlmeier:Ja, über Kunst lassen sich Sachverhalte noch einmal ganz anders kommunizieren, das Belehrende fällt in der Regel weg, dieses "Du musst das machen, du musst dies machen". Über Kunst öffnen sich die Menschen, über Kunst kann man ganz neu und anders reflektieren. Kunst ist eine Möglichkeit, einfach etwas in den Raum stellen, der Betrachter schaut es sich dann selber an und entscheidet für sich, was er damit macht.
Ich bin ein sehr politischer Mensch, ich lasse mir nichts gefallen. Und ich bin eine leidenschaftliche Fotografin
CCB Magazin:Ihre Fotografien sind sehr politisch, warum sind sie nicht in die Politik gegangen?
Angelika Kohlmeier:Ich würde es in der Politik vermutlich gar nicht aushalten. Für mich ist die Fotografie darum ein Weg, um Inhalte mitzuteilen. Ich bin ein sehr politischer Mensch, ich lasse mir nichts gefallen, und ich bin eine leidenschaftliche Fotografin. Mir war es darum wichtig, dass die Ausstellung auch im Bürgerforum vor dem Kanzleramt zu sehen ist: Zum einen, weil das in der Hauptstadt ist und viele erreicht. Zum anderen erreicht es hier genau die richtigen - die Bürger und die Politik.
CCB Magazin:Auch in Ägypten versuchen Künstler das Volk über ihre Werke zu erreichen. Die Autorin Kersten Knipp schreibt dazu im Arte-Magazin, dass viele Werke ägyptischer Künstler, in denen auf Umwälzungen im Land reagiert wurde, nun wie eingeschüchtert von der Wucht der politischen Ereignisse wirkten. Wie ist Ihr Eindruck?
Angelika Kohlmeier:Künstler sind in Ägypten natürlich nicht so frei wir hier, da lief und läuft noch immer vieles über Beziehungen. Aber auch Künstler sind für die Reformen auf die Straße gegangen. Das werden sie auch weiterhin tun.
CCB Magazin:Einer der bekanntesten Maler des Landes, Khaled Hafez, räumte ein, mit seiner Kunst "in eine Falle getappt zu sein", weil er seine Arbeit plötzlich als reaktionär empfand, indem er nur noch auf den Umbruch im Land reagierte und seine Kunst den künstlerischen Ausdruck verloren habe. Können Sie das nachvollziehen?
Angelika Kohlmeier:Das ist für mich natürlich nur schwer nachvollziehbar, weil ich eine solche Situation noch nicht erlebt habe. Künstler sind da sehr individuell, und so sollte man sie auch interpretieren.
CCB Magazin:Ägyptische Künstler appellieren über ihre Werke stark an den Wert der Freiheit. Was können wir in diesem Punkt von den Ägyptern lernen?
Angelika Kohlmeier:Das, was wir für eine Voraussetzung halten, dass wir in einer Demokratie leben und uns frei bewegen können, müssen sich die Ägypter erst erkämpfen. Viele wissen hierzulande doch gar nicht mehr, wie sehr man diesen Wert der Freiheit schätzen sollte.
CCB Magazin:Für viele Künstler bedeutet Freiheit aber auch, sich frei auf dem Markt behaupten zu müssen, von der Arbeit jedoch kaum leben zu können - Freiheit auch als Marktanforderung. Ist das die Kehrseite der Medaille?
Angelika Kohlmeier:Das ist es auch, und so können wir auch nicht weiter machen, hier muss etwas passieren, da braucht es politische Korrekturen. Gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden, sonst fährt die Gesellschaft gegen eine Wand.
CCB Magazin:Die Revolution in Ägypten hat vieles zum Erliegen gebracht: Im ägyptischen Museum am Tahrir-Platz herrscht Leere, seit der Revolution gehen die Touristenzahlen zurück. Können Sie Ägypten als Reiseland dennoch weiter empfehlen?
Angelika Kohlmeier:Ja, ich kann nur sagen: Jeder der einmal nach Ägypten wollte, sollte es jetzt tun! Da passiert gerade so unglaublich viel und es passiert einem in der Regel auch nichts. Das Land ist im Umbruch, es ist eine einmalige Situation dort. Man hilft auch dem Land, wenn man es besucht, weil man darüber den dortigen Wirtschaftskreislauf unterstützt. Wir selbst werden in zwei Jahren wieder hinreisen und fragen, was aus den Träumen der Ägypter geworden ist. Ich sage: Fahren sie lieber jetzt an das Rote Meer als auf die Kanaren.
CCB Magazin:Frau Kohlmeier, vielen Dank für dieses Gespräch.
Profil von Studio Kohlmeier auf Creative City Berlin:
"egypt reloaded" Installation auf dem Bürgerforum in Berlin bis zum 6. April 2012
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