Crowdfunding Zurück

Julius B. Franklin: Flucht vor dem Wahnsinn

Julius B. Franklin: Flucht vor dem Wahnsinn
Foto: © Rheinland

„Rheinland“ ist ein Film über den 12-jährigen afrodeutschen Jungen Joachim, der zu Zeiten des Nationalsozialismus aufwächst. Eines Tages erfährt Joachims Leben eine dramatische Wendung: er und seine Familie müssen um ihr Leben fürchten. Wie lässt sich ein solches Thema über eine Crowdfunding-Kampagne umsetzen? Wir sprachen mit Julius B. Franklin vom Filmteam „Rheinland“.

INTERVIEW   JENS THOMAS

 

CCB Magazin:Hallo Julius, in eurem Film „Rheinland“ geht es um den 12-jährigen afrodeutschen Jungen Joachim und seine Familie zu Zeiten der Machtergreifung Hitlers. Was möchtet ihr sichtbar machen?

Julius:Es geht uns darum, das lang ignorierte Schicksal der sogenannten „Rheinlandkinder“ zu erzählen und so auch einen Teil der deutschen Geschichte ins Licht zu rücken, der bis heute teilweise völlig unbekannt ist. Die „Rheinlandkinder“ waren die Kinder afrikanischer Kolonialsoldaten, die nach dem Ersten Weltkrieg im Rheinland stationiert waren, und von weißen deutschen Frauen. Viele der afrikanischen Soldaten entschieden sich in Deutschland zu bleiben und Familien zu gründen. 1937 wurde die Kommission Nr. 3 gegründet, die im Geheimen operierte. Die Kommission sollte sich des „Problems am Rhein“ annehmen. So wurden über 400 afrodeutsche Kinder und Jugendliche zwangssterilisiert und interniert. Viele von ihnen verschwanden für immer.

CCB Magazin:Die Bandbreite an Filmen über den Nationalsozialismus ist kaum mehr zu überblicken. Was zeigt „Rheinland“, was bislang noch nicht gezeigt wurde?

Julius:Das Besondere an Rheinland ist vor allem die Perspektive, die wir gewählt haben. Anders als in anderen Spielfilmen, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg oder dem Nationalsozialismus beschäftigen, legen wir den Fokus nicht auf das Kriegsgeschehen. Im Mittelpunkt unseres Films steht der Junge Joachim, aus dessen Perspektive wir die Geschichte erzählen und um den sich die gesamten Geschehnisse entwickeln werden. Diese Perspektive ist von großer Bedeutung, denn wir möchten allen Menschen anhand der Betroffenenperspektive verdeutlichen, wie sich Rassismus und Identitätskonflikte anfühlen. Anders als in anderen Filmen wird hier nicht von weißen Menschen über betroffene Schwarze Menschen berichtet, gesprochen oder gar versucht, ihre Perspektive nachzuempfinden, sondern wir als Betroffene lassen unsere Erfahrungen miteinfließen – das ist möglich, da unser Filmteam mehrheitlich aus Schwarzen Menschen besteht.

CCB Magazin:Der Film soll, obwohl er 1937 spielt, Empfindungen und Erfahrungen aus unseren eigenen Leben widerspiegeln und Kontinuitäten von damals bis zu unserem heutigen Tag aufzeigen. Welche Kontinuitäten existieren durch Ausgrenzungen und Rassismen bis heute? Wie hat sich der Rassismus aber auch über die Jahre und Jahrzehnte verändert?

Julius:Wir stellten während der Recherchen zum Film, insbesondere in den Gesprächen mit Schwarzen Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, fest, dass die Diskriminierungsmechanismen sich nicht verändert haben. Natürlich sind wir keiner direkten Gefahr oder Gewalt mehr ausgesetzt wie im Dritten Reich, wir werden dennoch zum Teil auf dieselbe Art und Weise diskriminiert. Das zeigt uns, wie tief Rassismus in der Gesellschaft noch immer verwurzelt ist. Und Rassenideologien sind auch nicht erst im Nationalsozialismus entstanden. Sie gehen weit bis in die Weimarer Republik und davor zurück. Problematisch ist, dass das der Mehrheitsgesellschaft bis heute nicht ausreichend bekannt ist und viele historische Fakten nicht bekannt sind oder bewusst verdrängt werden - Deutschlands Kolonialgeschichte beispielsweise. Das führt dazu, dass in Deutschland Rassismus grundsätzlich mit Rechtsextremismus assoziiert wird. Rassismus hat aber viele Formen, und so ist Alltagsrassismus in Deutschland leider noch immer gesellschaftsfähig: Rechtspopulistische Parteien und Schriften werden heute geduldet, Menschen wie Thilo Sarrazin erhalten eine Plattform, die sie dafür nutzen, Menschen zu diskriminieren. Das alles geschieht unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung.

CCB Magazin:Ihr werft in eurem Film Fragen auf wie: Wer ist Deutsch? Wer ist Teil der Gesellschaft? Wer wird in der Gesellschaft als "fremd" wahrgenommen? Weshalb und wie wirkt sich Alltagsrassismus auf die Individuen aus? Und welche Identitätskonflikte werden dadurch ausgelöst? Welche Antworten hast du auf diese Fragen?

Julius:Für Teile der Mehrheitsgesellschaft scheint noch immer der Gedanke vorzuherrschen, dass eine Person nur deutsch sein kann, wenn sie „deutsch“ aussieht, also weiß ist. Die Annahme, dass Deutschland eine weiße Nation ist, ist grundlegend falsch. Das war Deutschland zu keinem Zeitpunkt. Die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland reicht weit mehr als 300 Jahre zurück. Sie sind ein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft. Deshalb ist es so wichtig, Schwarze Geschichte sichtbar zu machen und so ein Bewusstsein zu schaffen, dass „Deutsch“ eben nicht automatisch „Weiß-Sein“ bedeutet. Und vor allem stellt der Alltagsrassismus einen gewaltvollen Übergriff auf die Psyche eines Menschen dar: Die Identitätskonflikte, die dadurch ausgelöst werden, sind existenzieller Art. Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Selbstzweifel beschreiben diese Emotionen wohl am Besten. Unreflektierte Fragen wie: „Wo kommst du eigentlich her?“ oder „Gehst du irgendwann mal wieder in deine Heimat zurück?“ nehmen Personen den Boden unter den Füßen. Sie entziehen ihnen jegliche Daseinsberechtigung und Existenzgrundlage. Wie sich diese Fragen anfühlen und wie absurd Alltagsrassismus ist, wollen wir mit Rheinland aufzeigen.

Foto © Rheinland

CCB Magazin:Ihr habt zu Rheinland eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Warum habt ihr euch für eine Crowdfunding-Kampagne entschieden?

Julius:Da dieser Film auf so vielen verschiedenen Ebenen wichtig ist. Und über das Crowdfunding beziehen wir den Betrachter mit ein und können ihm schon im Entstehungsprozess teilhaben lassen. Das Crowdfunding gibt uns auch die Möglichkeit, unser Projekt und unsere Idee in einem entsprechenden Rahmen zu präsentieren und die Unterstützer und Interessierten über alle Entwicklungen zu informieren. Wir erhoffen uns dadurch natürlich ein möglichst großes Feedback.

CCB Magazin:Wie hilfreich ist das Crowdfunding, speziell für ein solches Thema zu sensibilisieren?

Julius:Wir haben das als sehr hilfreich empfunden. Es war uns so möglich, Menschen zu erreichen und für dieses Thema zu gewinnen, die sich bis dahin noch kaum Gedanken über diese Thematik gemacht haben oder denen dieser Teil der Geschichte noch nicht bekannt war. So haben wir auch Nachrichten von Menschen erhalten, die sich dafür bedanken, dass wir dieses Thema in dieser Form endlich aufgreifen.

CCB Magazin:Wisst ihr, wer eure Unterstützer sind?

Julius:Zu unseren Unterstützern zählen viele Interessierte, aber auch Betroffene. Und wir sind sehr froh darüber, auch den Zuspruch der Schwarzen Community zu erhalten und damit auch Unterstützung von einer Organisation wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. zu bekommen. Mittlerweile unterstützen uns sogar verschiedene Städte und Künstler.

CCB Magazin:Als Plattform habt ihr Startnext für die Kampagne gewählt. Warum Startnext?

Julius:Startnext ist eine der bekanntesten Crowdfunding-Seiten Deutschlands. Sie bietet eine Vielzahl von Gestaltungs- und Kommunikationsmöglichkeiten, was uns für unsere Kampagne sehr wichtig war. Hinzu kommt, dass Unterstützer schnell und unkompliziert spenden können und dabei eine große Auswahl an Zahlungsmöglichkeiten angeboten wird.

CCB Magazin:Was könnt ihr alles durch die Kampagne finanzieren?

Julius:Die Kampagne bildet für uns die Basis des Eigenkapitals, mit dem wir dann an verschiedene Filmförderungen herantreten können. Wir sind ein relativ junges und kleines Unternehmen und es gestaltete sich schwierig, an konventionelle Filmförderung zu kommen, denn gefördert wird nur, wer schon einen „Celebrity-Status“ erreicht hat. Auch viele Sponsoren wollen nicht mit politischen Themen in Berührung kommen. Da uns dieser Film wichtig ist und wir ihn unbedingt realisieren wollen, versuchen wir über Startnext an die nötigen Gelder zu kommen, um dann eine finanzielle Basis vorweisen zu können und wieder den Weg über die konventionelle Filmförderung zu versuchen. Die erreichte Summe von 30.000 Euro wollen wir, sobald wir aus anderer Quelle gefördert werden, an Organisationen spenden, die sich mit dem Thema Rassismus beschäftigen. Welche Organisationen das sein sollen, wollen wir unsere Unterstützer entscheiden lassen.

CCB Magazin:Wie schätzt ihr das Crowdfunding gesamtgesellschaftlich ein? Ist es eine neue Form der Beteiligung oder nur Mittel zum Zweck, um Finanzierungslücken zu schließen?

Julius:Für uns ist es durchaus eine neue Form der Beteiligung. Menschen können Projekte unterstützen, die ihnen gefallen, dafür erhalten sie tolle Dankeschöns. Viele dieser Projekte wären ohne das Crowdfunding nicht zustande gekommen. Wer dies aber nur als Mittel zum Zweck sieht, unterschätzt unserer Ansicht nach den Anspruch der Crowdfunding-Gemeinschaft bei weitem.

CCB Magazin:Was passiert nach dem Crowdfunding? Wie geht es für euch weiter?

Julius:Nach dem Crowdfunding konzentrieren wir uns ganz auf die Restfinanzierung über die Filmförderungen und auf die Planung der Produktionsphase. Natürlich halten wir unsere Unterstützer weiterhin auf dem Laufenden. Wir möchten uns auch durch verschiedene Veranstaltungen bei ihnen bedanken. Das ist uns wichtig, denn durch diese Kampagne ist uns wirklich bewusst geworden, dass wir gemeinsam viel bewegen können.

CCB Magazin:Julius, vielen Dank für dieses Gespräch.


Schon gelesen?

schließen
schließen

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum