Finanzierung
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Wer entscheidet, was in den großen Museen der Welt ausgestellt wird? Oder vielmehr: was nicht? Mit einer gemeinsam organisierten digitalen Wanderausstellung hinterfragen die Berliner Kuratorin Tina Sauerländer, die Münchener Kuratorin Ursula Ströbele und das New Yorker Künstlerkollektiv MoMAR die Gatekeeper-Praxis renommierter Museen. Inhaltlich behandelt die Ausstellung die Beziehung zwischen Natur und Digitalität: Es geht um Ökofiktionen und skulpturale Ästhetik im digitalen Zeitalter.
Was haben das MoMA in New York, das Centre Pompidou in Paris und die Neue Nationalgalerie in Berlin gemeinsam? Alle drei waren mit 14 weiteren Museen weltweit Teil einer nicht-autorisierten Augmented-Reality-Wanderausstellung, die von September bis Oktober durch die Kontinente tingelte. Eine nicht-autorisierte Ausstellung, was, bitte schön, soll das sein? Das haben wir uns auch gefragt! Die freischaffende Berliner Kuratorin Tina Sauerländer, die die Ausstellung gemeinsam mit Ursula Ströbele vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München kuratiert hat, erklärt es so: Mit dem Konzept habe man die „Gatekeeper-Funktion“ von Museumsdirektoren und Kuratorinnen in Frage stellen wollen. Denn wer entscheidet eigentlich, welche Kunstwerke an den Wänden hängen und welche Skulpturen präsentiert werden? Mehr als 200 Jahre lang habe man „nur weiße Männer“ an die Wand gehängt, moniert Sauerländer, und digitale Kunst sei immer noch viel zu unterrepräsentiert in staatlichen und anderen Museen.
Mit ihrer Ausstellung „AUGMENTED SPECIES – Invasive Sculptures in Hybrid Ecologies“ wollten sie dem etwas entgegensetzen und Kritik an den Kulturinstitutionen üben. Das von Sauerländer und Ströbele kuratierte Kunstprojekt entstand in enger Zusammenarbeit mit dem New Yorker Künstlerkollektiv MoMAR. MoMAR bezeichnen sich selbst als nicht-autorisierte Galerie, welche anstrebt, physische Ausstellungsräume demokratisieren zu wollen, wobei sie hauptsächlich mit Konzepten von Augmented Reality arbeiten. Am besten lässt sich ihre Kritik am modernen Kunst- und Ausstellungsbetrieb an einem Beispiel demonstrieren. Im Jahr 2010 entwickelte MoMAR eine App, mit der man ein Bild im Jackson-Pollock-Raum im MoMA in New York digital verändern konnte; durch die App bildete sich auf dem großformatigen Pollock-Gemälde ein AR-Layer und veränderte damit das Kunstwerk selbst. In den folgenden Jahren arbeitete das Künstlerkollektiv mit AR-Anwendungen, um bereits bestehende Kunstwerke – seien es Bilder oder Skulpturen - zu erweitern oder ihre digitale Kunst an Orten auszustellen, für die sie vorher keine Erlaubnis bekommen hatten. Wie etwa im MoMA in New York.
Das gleiche Prinzip verfolgt auch die neue Ausstellung „AUGMENTED SPECIES – Invasive Sculptures in Hybrid Ecologies“, die nach ihren weltweiten Vernissagen im September und Oktober nun durch die MoMAR-App bis zum 15. Januar nächsten Jahres für alle und überall zugänglich sein wird. Durch die App lassen sich die lebendigen digitalen Skulpturen mit dem Smartphone oder Tablet an jedem beliebigen Ort platzieren. Konnte man die Kunstwerke zuvor nur während des offiziellen Ausstellungszeitraums in den jeweiligen Museen platzieren, so ist ihr Spielfeld nun auf praktisch jeden Ort der Welt ausgeweitet. Der Rezipient der Kunst – so die Idee – entscheidet selbst, wo die Kunst entsteht. Aber von was sprechen wir hier eigentlich?
Die digitalen Skulpturen der fünf Künstler*innen Sofia Crespo, Feileacan McCormick, Carla Gannis, Joanna Hofmann und Tamiko Thiel verkörpern post-evolutionäre Prototypen neuer Arten, eine Verbindung aus bestehender Natur und digitaler Sublimierung. Sauerländer: „Es geht um Ökofiktionen, es geht darum, wie man das Thema Ökologie mit dem Digitalen verbinden, wie man die Idee von Arten weiterdenken kann.“ Zu abstrakt? Hier ein Beispiel: Tamiko Thiels Skulptur einer Koralle besteht aus buntem Plastik – Flipflop-Ketten, Quietsche-Entchen usw. – und weist mit ironischem Augenzwinkern auf die immense Plastikverschmutzung der Weltmeere hin; ihre Plastikkorallen spiegeln eine neue bizarre Flora wider, die durch das Absterben der natürlichen Korallen entstanden ist. In das gleiche Horn blasen die Werke der anderen Künstler*innen, die mit ihrer Kunst einen Ausblick in eine post-natürliche Zukunft wagen. Die digitalen, lebendig wogenden Skulpturen stehen allzumal in ästhetischem Kontrast zu physisch-unbeweglichen Skulpturen, die vom Betrachter unmittelbar verglichen werden können. So standen beispielsweise die digitalen Skulpturen bei der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie auf dem Vorplatz des Museums neben den festinstallierten physischen Skulpturen und ließen sich direkt miteinander vergleichen. Die skulpturale Ästhetik bekommt eine zusätzliche Dimension im Digitalen, sie ist lebendig und ephemer, wandelbar und täuschend echt wie eine Schimäre.
Rund 20 Besucher*innen kamen zur Eröffnung im September in die Neue Nationalgalerie, auch die Kuratorinnen des Museums waren mit von der Partie – und zeigten sich von den neuen digitalen Ausstellungsmöglichkeiten begeistert. So viel Einklang gibt es nur, wenn man keine Veränderungen zu befürchten hat, mag man meinen. Wer hier am längeren Hebel sitzt, ist klar, denn die Institutionen bleiben auch weiterhin Gatekeeper. Sauerländer aber wird nicht müde, für digitale Kunst und ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und den renommierten Kunstinstitutionen zu werben. „Denn auch klassische Kunst lässt sich mit digitalen Mitteln neu kontextualisieren“ sagt sie. Für das Kuratieren der aktuellen Wanderausstellung hat sie genau null Cent verdient, so wie alle Beteiligten in dem Gemeinschaftsprojekt. Doch immerhin, sagt sie, gebe es nun vermehrt Fördergelder für digitale Kunst, etwa vom Berliner Senat oder über das Programm Neustart Kultur der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). Das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Und jetzt fehlen nur noch mehr Kunstwerke von Frauen an den Wänden – dann hat Frida Kahlo als Feigenblatt endlich ausgedient.
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