Nachhaltigkeit, Räume Zurück

Ab in den Silicon Wald!

Ab in den Silicon Wald!
Foto: © Manuela Clemens

Bauen, bauen, bauen, so lautet die Devise, um den Mietmarkt zu regulieren. Aber will man, dass Berlin immer dichter bebaut wird Frederik Fischer, Journalist und Gründer des Start-ups Tame, hat sich entschieden, in Brandenburg einfach mal ein Dorf zu gründen: das Ko-Dorf. Ein Gespräch mit einem Mann, der auf gepackten Koffern sitzt.
 

INTERVIEW   Jens Thomas

 

CCB Magazin:Frederik, wir kennen uns bereits von zahlreichen Meetups und Projekten. 2012 hast du Tame gegründet, eine Twitter-Alternative, um die Flut von Nachrichten im Netz neu zu sortieren. Jetzt gründest du ein Dorf in Brandenburg. War dir Berlin zu langweilig oder hattest du Landweh?

Frederik Fischer: Von beidem ein bisschen. Ich komme aus der Tech-Szene. Nach meinem Studium habe ich mich direkt mit einem Tech-Start-up selbstständig gemacht. Wir sind schnell gewachsen, hatten zehn Mitarbeiter und flogen häufig ins Silicon Valley. Um Abstand zu gewinnen, bin ich an den Wochenenden mit meiner Frau oft durch Brandenburg geradelt. Das hat Ruhe in mein Leben gebracht. Berlin wurde zudem immer enger und teurer. Auf der anderen Seite gab es in ländlichen Regionen ganze Landstriche, die wie leergefegt waren. Ich fragte mich damals, wie man das verbinden kann: Wie schafft man es, den ländlichen Raum mit seinem Bestand neu zu nutzen, ohne das Alte aufgeben zu müssen? So kam die Idee mit dem Ko-Dorf auf, eine Synthese aus Kuhdorf und Kooperation. Jetzt sind wir kurz vor dem Ziel. Und wir bringen Schwung in eine Debatte, die längst überfällig ist.

CCB Magazin:Welche Debatte?

Frederik Fischer: Wie sieht das Leben in der Stadt und auf dem Land in der Zukunft aus? Wie können wir sozial gerecht und ökologieverträglich arbeiten, leben, wohnen? Wir beobachten seit Jahren eine Entkoppelung von Beruf und Stadt: Viele leben nicht mehr in der Stadt, weil sie dort unbedingt wohnen wollen, sondern weil sie der Beruf an die Stadt bindet. Immer mehr sehnen sich aber nach Ruhe und Rückzug, wobei sie auch am kulturellen Leben teilhaben wollen. Die Mieten in Berlin sind allein in den letzten fünf Jahren um 44 Prozent gestiegen, die Immobilienpreise letztes Jahr wieder um rund 12,5 Prozent. Auf der anderen Seite gibt es ganze Dörfer und Landstriche, wo sich die Bevölkerung abgehängt fühlt oder abgehängt ist. Die Frage ist, wie wir hier ein neues Gleichgewicht hinbekommen. Das Ko-Dorf kann dazu eine Anregung sein. 

Die Frage ist: Wie können wir in Zukunft sozial gerecht und ökologieverträglich arbeiten, leben, wohnen? Das Ko-Dorf soll hierzu eine Anregung sein

Das Ko-Dorf. Könnte schön werden. Fotos© agmm Architekten + Stadtplaner

CCB Magazin:Wie gründet man ein solches Dorf?

Frederik Fischer: Das ist ein steiniger Weg, und er ist auch noch nicht zu Ende. Wir sind seit zwei Jahren mit dem Baurecht beschäftigt und warten noch immer auf den rechtskräftigen Bebauungsplan, es sieht aber gut aus. Das Dorf an sich basiert auf einem Genossenschaftsmodell. Die Idee dazu kam mir in den Niederlanden. Ich war auf einer Hochzeit, wo alle in einem Feriendorf untergebracht waren. Das waren genossenschaftlich organisierte Einheiten, jeder hatte sein eigenes Haus, trotzdem gab es die Möglichkeit, als Gemeinschaft zusammenzukommen. Das hat mich überzeugt. Diese Idee habe ich dann auf ein dörfliches Konstrukt übertragen. Ich wusste allerdings nicht, wie man das macht – ich bin Journalist, kein Architekt. Während meiner Recherchephase stieß ich dann auf das Feriendorf in Meerleben an der Ostsee. Ich kontaktierte die Initiatoren, den Architekten Patric Meier und seine Lebensgefährtin Katrin Frische, und schnell kamen wir zu der Überzeugung, dass uns eine ganz ähnliche Vision antreibt. Patric brachte zudem die nötige fachliche Expertise mit. Jetzt befinden sich zwei Projekte in der Planungsphase: eines in Erndtebrück in Nordrhein-Westfalen, das andere in Wiesenburg in Brandenburg, hundert Kilometer von Berlin entfernt.

CCB Magazin:Wie sieht das Ko-Dorf aus? Was gibt es da alles? Und wer kann zu welchen Konditionen einziehen?

Frederik Fischer:Das Dorf besteht aus vier Hektar Land und 40 Wohnparteien, die genossenschaftlich organisiert sind. Das Herzstück des Dorfes ist ein altes Sägewerk, das rund 40.000 Quadratmeter umfasst. Die Idee war hier, das Alte wieder nutzbar zu machen. Hier werden wir einen Coworking Space errichten, Veranstaltungsmöglichkeiten organisieren, auch ein Café, einen Buchladen und ein Ko-Dorf-Späti wird es geben. Der Späti soll zur Anlaufstelle für ökologische, nachhaltige Produkte aus der Region werden. Ziel ist es, eng mit den lokalen Produzenten zusammenarbeiten. Ansonsten nutzen wir die Infrastruktur der Gemeinde: Wir bauen hier keinen neuen Supermarkt. Wir gehen auf die Gemeinde zu. Und umgekehrt laden wir die Wiesenburger auch zu uns ein. Das Ko-Dorf selbst setzt sich aus drei frei wählbaren Haustypen zusammen: Häusern von 30, 60 und 80 Quadratmetern. Als größere Familie kann man natürlich noch kleinere Einheiten hinzunehmen – oder wieder abgeben, wenn beispielsweise die Kinder aus dem Haus sind. Wobei man die Häuser nicht kauft. Sie bleiben im Besitz der Genossenschaft. Dazu wird man Mitglied und erwirbt Anteile in Höhe der Einlage. Wenn man irgendwann wieder ausziehen will, verkauft man die Anteile an die Nachrücker, die auf der Warteliste stehen. Unser Ansatz ist, die Wohnverhältnisse zu flexibilisieren, weil sich immer wieder mal Arbeitsund Lebensformen verändern.

Das Kodorf. Fotos © agmm Architekten + Stadtplaner

CCB Magazin:Wer darf alles einziehen und wer zieht ein? Klempner, IT-Spezialistinnen, Kreativschaffende?

Frederik Fischer:Da machen wir keine Vorgaben. Der Schwerpunkt liegt allerdings klar auf dem Digital- und Kreativ-Milieu, aus dem wir kommen. Es gibt aber auch welche, die haben Jobs an Universitäten, Forschungseinrichtungen oder bei Versicherungen. Selbst ein paar Wiesenburger werden im Ko-Dorf wohnen. Für den Wohnsitz muss man sich bewerben. Die Bewerbungen schauen wir uns natürlich genau an, man will ja wissen, mit wem man Tür an Tür wohnt. Die ersten zehn Parteien haben wir noch selbst ausgesucht. Seitdem bestimmt die Gruppe, wer einzieht oder auf die Nachrückerliste kommt. Dazu gibt es Steckbriefe und Vorstellungsrunden. Insgesamt können bis zu hundert Personen einziehen. Die Gruppe hat auch immer die Möglichkeit, ein Veto einzulegen, wenn sie Bauchschmerzen mit Bewerbern hat. Das passiert auch manchmal, in den meisten Fällen finden sich aber die Richtigen.

CCB Magazin:Irgendwie klingt das nach einem Exklusivclub für Leben auf dem Land. Ist das nicht die nächste Stufe der Gentrifizierung? Jetzt kommen die ausgebildeten Hauptstädter und erobern den Silicon Wald, weil sie die Stadt satthaben?

Frederik Fischer:Nein, überhaupt nicht. Wir sind weder ein Exklusivclub noch Selbstversorger. Die Altersspanne reicht vom Kleinkind bis zur Rentnerin. Musiker treffen auf IT-Managerinnen oder lokale Handwerker. Wir suchen ja gerade den Kontakt zur Region. Untypisch ist das Verfahren, das stimmt, weil man sich bewerben muss, das muss man sonst in keinem Dorf und in keiner Stadt. Aber in der Stadt entscheidet der Hauseigentümer, wer einzieht, und das hängt zum Schluss meist vom Geldbeutel ab. Und immer mehr Menschen müssen umziehen, weil sie sich die Wohnung nicht mehr leisten können. Bei uns ist es umgekehrt: Man zieht zu günstigen Konditionen ein, die Plätze sind nur begrenzt. Darum soll es auch nicht bei einem Ko-Dorf bleiben – die Idee müsste Schule machen.

CCB Magazin:Wie haben die Wiesenburger denn reagiert, als ihr mit Bauplänen und aufgeklappten Laptops aufgekreuzt seid? Wollen die überhaupt, dass ihr kommt?

Frederik Fischer:Die haben sehr gut reagiert. Sie waren ja von Beginn an in den Prozess involviert. Man muss wissen: Nicht wir bewerben uns bei den Kommunen, die Kommunen bewerben sich bei uns. Das war eine der wichtigen Vorbedingungen für das Vorhaben, um Konflikte im Vorfeld zu vermeiden. Denn wenn sich die Kommunen selber bewerben, sind sie in der Regel aufgeschlossen gegenüber Veränderungen. Im Gegenzug achten wir natürlich darauf, wer kommt: Die Kodörfler müssen sich im Dorf verwurzeln wollen. Voraussetzung für einen Wohnplatz ist, dass man im Ko-Dorf seinen Erstwohnsitz hat – wir verbieten quasi die Ferienhausnutzung. Zugleich muss jedem klar sein, dass er nicht jeden Tag nach Berlin pendeln kann. Home-Office sollte schon drin sein. Auch aus ökologischen Gründen.

CCB Magazin:Was kostet es, im Dorf zu wohnen? Und was kostet das Gesamtprojekt?

Frederik Fischer:Das wissen wir noch nicht verbindlich, weil das von weiteren Planungsprozessen abhängt. Was wir sagen können ist, dass sich die Häuser in einer Preisspanne zwischen 135.000 und 330.000 Euro bewegen. Darin sind aber alle Kosten berücksichtigt, auch die Planungs- und Erschließungskosten, der Kaufpreis für das Grundstück und ein Kostenansatz für die Gemeinschaftsflächen. Für das Sägewerk planen wir mit rund zwei Millionen, das wird durch alle Genossenschaftsmitglieder geteilt. Insgesamt läuft es wohl auf 20 Millionen hinaus. Das Projekt ist natürlich mit einem gewissen Risiko behaftet. Darum haben wir am Anfang von allen Genossenschaftsmitgliedern einen Beitrag von knapp 6.000 Euro verlangt. Darüber konnten wir die Baurechtschaffung finanzieren. Zudem haben wir Fördermittel vom Land Brandenburg erhalten, und als Kodörfler braucht man ohnehin nur 30 Prozent Eigenkapital. Denn es gibt die Möglichkeit, den Pflichtanteil bis zur Höhe von 50.000 Euro über das Programm KfW134 zu finanzieren. Die restliche Finanzierung übernimmt die Genossenschaft. Dieser Kredit wird mit dem Wohngeld über viele Jahre in kleinen Beträgen abbezahlt. Das macht den Einstieg sehr viel leichter. Man bedenke, dass eine Immobilie in Berlin und im Speckgürtel mittlerweile fast eine Million kostet. Und hinter unserem Projekt steckt kein kommerzieller Projektentwickler, der sich zum Schluss die Taschen vollstopft. Hier entsteht etwas, das wirklich nachhaltig ist und der Gemeinde zur Verfügung steht.

CCB Magazin:Stichwort Nachhaltigkeit: Sind die Häuser denn auch nachhaltig gebaut?

Frederik Fischer:Ja, es sind ökologische Häuser. Die Fassaden werden mit sichtbarem Echtholz verkleidet. Holz war uns wichtig, denn die klassischen Neubaugebiete sind uns ein Grauen. Die Kleinhäuser sollen zudem mit Gründächern versehen werden, damit Regenwasser gesammelt und zur Gartenbewässerung genutzt werden kann. Es geht uns aber gar nicht so sehr um feste Öko-DIN-Normen. Wir betrachten Nachhaltigkeit in der Breite – ökologisch und sozial. Es geht um Energieeffizienz und wohngesundes Bauen. Der vorhandene Baumbestand wird in die Planung integriert. Die Wohnhöfe werden gemeinschaftlich genutzt. Zudem streben wir eine eigene Wärme- und Energieversorgung an. Im nächsten Planungsschritt untersuchen wir die Realisierbarkeit eines Blockheizkraftwerks, von Hackschnitzel-Heizungen und Photovoltaikanlagen. Und mit der Revitalisierung des seit der Wende leerstehenden Sägewerks schenken wir dem Backsteinbau ein zweites Leben – schon das ist nachhaltig.

Foto © agmm Architekten + Stadtplaner

CCB Magazin:Frederik, 1950 lebte nicht einmal ein Drittel der Weltbevölkerung in Städten. Seit 2007 ist es mehr als die Hälfte. Nach Berechnungen der UN werden es 2050 zwei Drittel sein, wobei die urbanen Räume für 75 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich sind. Wenn du eine Prognose abgeben würdest: Wie sehr können Modellprojekte wie deines etwas an der Gesamtsituation ändern? Werden wir Zeugen eines Gesellschaftswandels, durch den das Dorf eine Renaissance erlebt?

Frederik Fischer:Ob die Verstädterung ewig so weitergehen wird, da bin ich mir gar nicht mal so sicher. Berlin ist beispielsweise im letzten Jahr wieder geschrumpft. Die Frage wird aber sein: Wie können wir den ländlichen Raum neu entdecken und zugleich die Städte klimafreundlicher und lebenswerter machen? Das Dorf ist in den Köpfen vieler Menschen längst zum eigentlichen Sehnsuchtsort geworden. Das lässt sich mit Umfragen aus der Zeit vor der Pandemie belegen. Demnach wollen über die Hälfte der Menschen in Deutschland am liebsten in Dörfern und Kleinstädten leben. Nur circa ein Drittel sieht das Zentrum von Großstädten noch als idealen Wohnort. Der Grund für das Wachstum der Großstädte war schlicht, dass die wenigsten Menschen bislang ihren Job einfach mitnehmen konnten. Das hat sich durch die großzügigen Home-Office-Regelungen geändert. Diese Entwicklung macht neue Lebensmodelle möglich und eröffnet Chancen für die ländlichen Räume. Die gilt es zu nutzen – gemeinwohlorientiert, ökologisch, sozial. Denn das Interesse an ländlichen Räumen könnte sich auch als vergiftetes Geschenk erweisen. Dann nämlich, wenn sich Großstädter lediglich Ferienimmobilien kaufen oder an den Ortsrändern Retortensiedlungen bauen. Die Orte, um die es uns geht, sind ein Investment in die Lebensqualität und Ökologieverträglichkeit. Wir entwickeln ein neues soziales Miteinander Tür an Tür. Ich bin mir sicher, dass wir in den kommenden Jahren noch viele weitere solcher Wohninnovationen erleben werden.


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