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Un-Label will die Themen Inklusion und Barrierefreiheit in der Kultur voranbringen. Darauf warf auch ein Talk bei der diesjährigen Pop Kultur ein Licht. Wir sprachen mit Co-Talkerin und Un-Label Gründerin Lisette Reuter über Zweck und Ziel - und warum sich Kulturinstitutionen in Sachen Inklusion noch immer schwer tun.
CCB Magazin:Hallo Lisette, du bist Gründerin von Un-Label und warst auf der diesjährigen Pop Kultur Teilnehmerin in einem Talk zum Thema Inklusion und Barrierefreiheit. Kurz zu deinem Background: Wer bist du und was hast du vor Un-Label gemacht?
Lisette Reuter:Ich habe sieben Jahre internationale Kulturprojekte gemanagt zur Förderung von jungen Künstler*innen. Von Haus aus habe ich aber irgendwann einmal Sonderpädagogik und Diplompädagogik studiert. Doch mir war schon während des Studiums klar, dass ich keine Lehrerin werden möchte. Meine Wurzeln sind nämlich andere. Mein Vater hat bereits 1984 eines der ersten Laien-Theaterfestivals für Menschen mit Behinderungen gegründet in Kooperation mit der Universität zu Köln. Mit diesem Theaterfestival bin ich groß geworden und in diese Richtung hat es mich am Ende auch verschlagen.
CCB Magazin:Un-Label befasst sich unter verschiedenen Aspekten mit den Themen Inklusion und Barrierefreiheit im Kulturbereich. Wie und wann kam es zur Gründung? Gibt es dazu eine Geschichte?
Lisette Reuter:Ich habe wie gesagt viele Jahre internationale Kulturprojekte gemacht, die aber nie zugänglich waren für Menschen mit Behinderungen. Das hat mich motiviert, Produktionen zu kreieren, die wirklich divers und vielfältig sind. Das war die Idee und der Startschuss für Un-Label. 2013 habe ich dann die erste internationale Tanztheater-Produktion mit zwanzig Künstler*innen aus zehn verschiedenen Ländern – mit und ohne Behinderung - produziert und mich damit selbstständig gemacht. Mir war dabei von Anfang an wichtig, Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und aus unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen zusammenzuführen. Das war ziemlich neu. Durch den Erfolg dieser ersten Produktion habe ich das Konzept weiterverfolgt, wollte es international skalieren und habe ein Creative Europe Projekt eingereicht, und so kam der Stein ins Rollen.
Wenn man an Inklusion und kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen denkt, dann ist das erst einmal ein Riesenberg, vor dem man steht. Es ist eine Querschnittsaufgabe: Programm, Personal, PR, Publikum usw. - viele wissen gar nicht, wo und wie sie anfangen sollen
CCB Magazin:Was genau macht Un-Label im Bereich der Inklusion? Kannst du mal deinen Arbeitsalltag beschreiben?
Lisette Reuter:Zu unserem Angebot gehören allgemeine Sensibilisierungstrainings und Workshops für Front-of-House-Mitarbeitende genauso wie Schulungen für barrierefreie Kommunikation, PR und Öffentlichkeitsarbeit und Vorträge. Außerdem begleiten wir künstlerische Produktionen und beraten hinsichtlich gewünschter Ziele der Barrierefreiheit.
CCB Magazin:Was ist denn das Problem mit Inklusion und Barrierefreiheit im Kulturbereich? Warum braucht es so etwas wie Un-Label? Werden Menschen mit Behinderungen zu wenig in künstlerische Prozesse integriert?
Lisette Reuter:So ist es. Viele Kulturinstitutionen tun sich schwer damit, weil das Wissen und Know-how fehlen. Wenn man an Inklusion und kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen denkt, dann ist das erst einmal ein Riesenberg, vor dem man steht. Es ist eine Querschnittsaufgabe: Programm, Personal, PR, Publikum usw. - viele wissen gar nicht, wo und wie sie anfangen sollen. Der Wandel zu mehr Inklusion vollzieht sich in kleinen Schritten. Irgendwo muss man anfangen. Die letzten drei Jahre hat sich da schon viel getan, immer mehr Kulturinstitutionen und Kulturakteure setzen das Thema Inklusion auf ihre Agenda. Mit ihrem Programm für inklusive Kunstpraxis „pik“ widmet sich seit diesem Jahr sogar die Kulturstiftung des Bundes diesem Thema. Dennoch muss die Politik noch mehr tun, zum Beispiel Rahmenbedingungen verbessern, Förderstrukturen anpassen oder zusätzliche Budgets für Barrierefreiheit zur Verfügung stellen. Inklusion und Barrierefreiheit sind Menschenrechte und kein nice to have.
CCB Magazin:Hast du Zahlen, die das belegen? Wie viele Künstler*innen mit Behinderungen gibt es überhaupt?
Lisette Reuter:Wenn wir über Menschen mit Behinderung reden, reden wir hier nicht über eine kleine, marginalisierte Gruppe in der Bevölkerung. In Deutschland haben etwa 13 Prozent eine Schwerbehinderung. Wenn man den Behinderungsbegriff erweitert und Menschen mit psychischen und leichteren Behinderungen miteinschließt, dann liegt man bei über 19 Prozent. Aber die Dunkelziffer liegt noch deutlich höher. Viele der nicht ganz offensichtlichen Behinderungen oder Beeinträchtigungen sind gar nicht registriert und tauchen nicht in der Statistik auf. Das Problem ist, dass Menschen mit Behinderungen ein Tabuthema sind. Dahinter steckt die Angst, dass es einen selbst treffen könnte. Von den genannten 19 Prozent ergreifen natürlich nur die wenigsten einen künstlerischen Beruf. Diejenigen, die es aber tun, haben so gut wie keine Möglichkeit in staatlichen Instituten oder Akademien aufgenommen zu werden. Sie lernen alles aus eigener Initiative. Meines Wissens gibt es z.B. in Deutschland nur vier Schauspieler*innen und Tänzer*innen mit einer Schwerbehinderung, die an staatlichen Schauspielschulen bzw. Tanzschulen ihren Abschluss gemacht haben. Dazu kommen noch ein paar, die an privaten Schulen einen Abschluss gemacht haben, aber auch hier sind es insgesamt nur eine Handvoll.
Inklusion und Barrierefreiheit sind Menschenrechte und kein nice to have
CCB Magazin:Andere Frage, welche und wie viele Kulturinstitutionen habt ihr schon beraten?
Lisette Reuter:Von April 2021 bis heute waren es 44 Kulturinstitutionen. Darunter waren beispielsweise Kampnagel, das Auswärtige Amt, das Impulse-Festival in NRW und in ganz enger Kooperation das Schauspielhaus Düsseldorf, das Theater Dortmund und die Comedia Köln. Dabei kann es um das Einführen oder Ausbauen barrierefreier Angebote, um eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung oder um eine Neuakzentuierung und Gestaltung von Förderprogrammen gehen, die zugänglich sind für Menschen mit Behinderung. Wir beraten aber auch einzelne Kulturakteure bei ihrem inklusiven Öffnungsprozess. Dazu kommen natürlich dann die Kunstschaffenden, mit denen wir direkt in unseren eigenen künstlerischen Aktivitäten arbeiten, die hier einen Raum bekommen zu forschen und sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Sie sind sozusagen first Mover, mit dem Ziel, dass sie den Inklusionsgedanken in die Szene weitergeben.
CCB Magazin:Du bist auch Künstlerische Leiterin von Un-Label. Kannst du mal ein Beispiel von euren eigenen Produktionen geben?
Lisette Reuter:Kurz angemerkt, wir haben mittlerweile nicht nur Produktionen im Theater-Tanz-Performance-Bereich, sondern auch zwei Musikensembles, die sich mixed-abled zusammensetzen. Ein konkretes Beispiel kann ich dir im Rahmen eines großen Creative Europe Projekts geben, das wir gemacht haben. Da haben wir über zweieinhalb Jahre am Thema Aesthetics of Access geforscht mit über 350 Künstler*innen, Expert*innen und Wissenschaftler*innen aus sieben verschiedenen Ländern. Daraus sind drei Produktionen entstanden, die auch immer noch international touren. Eine Produktion davon ist ein Tanzduett mit einer hörenden Tänzerin und einem tauben Tänzer, bei der es eine poetische Audiodeskription gibt, die alle Zuschauer hören. Mitintegriert als Kunstform ist auch noch Visual Vernacular, eine Art Mischung aus Gebärdensprache, Pantomime und visuellen Aspekten, die auch Menschen gut verstehen, die der Gebärdensprache nicht mächtig sind. Es können also alle Menschen, mit und ohne Behinderung, das Stück genießen. Prinzipiell geht es bei Aesthetics of Access darum, wie man Barrierefreiheit als künstlerisches Stilmittel und kreativen Impuls von Anfang an in Produktionen einbauen kann, sie also kein Add-on sondern Bereicherung für die Kunst sind. Bei all unseren eigenen Stücken ist dieses Verfahren mittlerweile fest in die Produktions-DNA verankert.
CCB Magazin:Ein Ziel von Un-Label ist zudem der Aufbau eines nationalen und internationalen Netzwerkes für Kulturschaffende im Kontext Barrierefreiheit. Dazu gebt ihr Workshops, Coachings und Masterclasses für Kulturschaffende und haltet Symposien ab. Gibt es eine zentrale Stelle, wo dieses Netzwerk zusammenläuft? Kann man sich in dem Netzwerk austauschen?
Lisette Reuter:Es ist so: Wir haben ein großes Netzwerk aufgebaut an nationalen und internationalen Akteuren und vernetzen diese Akteure und Personen miteinander. Wenn zum Beispiel eine Kulturinstitution zu uns kommt und sagt, wir brauchen eine Audiodeskription oder wir suchen einen tauben Künstler – da können wir vermitteln. Wir sind auch in vielen Arbeitsgruppen drin, wo wir uns über Projekte usw. austauschen können. Und wie du schon sagst, machen wir regelmäßig Symposien und internationale Masterclasses, um zu versuchen, den internationalen Kunst- und Kulturbereich zusammenzuführen und im Bereich Inklusion und Barrierefreiheit nach vorne zu bringen.
Meines Wissens gibt es in Deutschland nur vier Schauspieler*innen und Tänzer*innen mit einer Schwerbehinderung, die an staatlichen Schauspielschulen bzw. Tanzschulen ihren Abschluss gemacht haben. Dazu kommen noch ein paar, die an privaten Schulen einen Abschluss gemacht haben, aber auch hier sind es insgesamt nur eine Handvoll
CCB Magazin:Ein weiterer Aspekt eurer Arbeit ist euer politisches Engagement. Ihr arbeitet mit politischen Akteuren zusammen, um Rahmenbedingungen für Inklusion in der Kultur zu gestalten. Habt ihr auch direkten Kontakt mit Politiker*innen aus dem Kulturbereich?
Lisette Reuter:Ja, wir versuchen auch direkte Kontakte zur Politik aufzubauen. Im Rahmen von Neustart Kultur haben wir beispielsweise ein Projekt gestartet, das heißt United Inclusion, wo es darum ging Kulturfördernde mit Kulturschaffenden mit Behinderung zusammenzubringen. Letztere haben erstere dabei beraten, wie sich Kulturförderprogramme verändern müssen, damit Inklusion und Barrierefreiheit ermöglicht werden in Kunst und Kultur.
CCB Magazin:Wie finanziert sich Un-Label eigentlich? Und wie groß ist euer Team?
Lisette Reuter:Ich bin eine Antragsmaschine. Gelder bekommen wir auf reiner Projektbasis. Wir sind in keinster Weise strukturfinanziert oder institutionell gefördert. Ich versuche den Laden, der extrem gewachsen ist, möglichst zusammenzuhalten. Unser Kernteam ist tatsächlich sehr klein, aber natürlich arbeiten wir mit vielen Freien zusammen, auch sehr konstant.
CCB Magazin:Un-Label kann man als eine Art von Sozialunternehmen verstehen. Ist eure Arbeit bestenfalls in zehn oder zwanzig Jahren nicht mehr notwendig, weil euere Forderungen und Visionen Realität geworden sind?
Lisette Reuter:So gesehen, ja, im besten Fall müsste es uns nicht geben. Aber die Mühlen mahlen langsam. Es ist noch ein weiter Weg, dass Inklusion zur Selbstverständlichkeit wird und es das Label gar nicht mehr braucht. Ich mache mir da wenig Hoffnung, dass ich das noch zu meinen Lebzeiten erleben werde.
CCB Magazin:Zum Schluss: Was bereichert dich persönlich an der Arbeit und Begegnung mit Künstler*innen mit Behinderungen?
Lisette Reuter:Das Lernen von ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebensperspektiven. Mich bereichern die wahnsinnig kreativen Möglichkeiten, die Inklusion und Barrierefreiheit für die Kunst bieten.
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