Digitalisierung & KI Zurück

Dr. Stein: „Wir wollen hier nichts zusammenpressen“ 

Dr. Stein: „Wir wollen hier nichts zusammenpressen“ 

Der Kulturförderpunkt startet die neue Digitalisierungsreihe „Kunstproduktion goes digital“. Im Zentrum steht die Frage, wie die Digitalisierung Kunst und Kultur und wie Kulturakteure die Gesellschaft mit digitalen Mitteln verändern. Dr. Christian Stein vom gamelab.berlin der Humboldt Universität wird am Donnerstag neue Projekte an der Schnittstelle von Tanz und Virtual Reality vorstellen. Wir haben uns gefragt: Herr Stein, um was geht‘s da eigentlich? 
 

INTERVIEW   Jens Thomas


 

CCB Magazin:Hallo Herr Stein, schön, dass es mit dem Interview so kurz vorab geklappt hat. Verraten Sie uns doch mal, wer Sie sind, was Sie an der HU Berlin machen und was das gamelab.berlin ist. 

Dr. Stein: Hallo, ich bin Christian Stein und arbeite an der Humboldt Universität im Exzellenz-Cluster „Matters of Activity“. Dort leite ich u.a. zusammen mit Thomas Lilge das gamelab.berlin, das wir gemeinsam gegründet haben. Das gamelab.berlin ist eine Forschungs- und Entwicklungsplattform an der Humboldt Universität zu Berlin. Wir forschen und entwickeln seit Jahren interdisziplinär zum Zeitalter des Spiels. Es geht uns um die Frage: Wie können wir Spiele zur Wissensvermittlung einsetzen? Welche Rolle haben Spiele als Kulturtechnik für die Gesellschaft?

Das game.lab ist eine Forschungs- und Entwicklungsplattform. Es geht es um die Frage: Wie können wir Spiele zur Wissensvermittlung einsetzen? Welche Rolle haben Spiele als Kulturtechnik für die Gesellschaft?

CCB Magazin: Und, wie lautet ihre Antwort? 

Dr. Stein:Zunächst gilt, die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Wir als Forscher haben einen sehr breiten Spielbegriff und verstehen das Spiel im übergreifenden Sinne. Spiele lassen sich heute in allen gesellschaftlichen Bereichen wiederfinden, sie sind darum eine der wichtigsten Kulturtechniken überhaupt. Die mediale Wahrnehmung, dass Spiele auf das Gezocke in Jugendzimmern reduziert werden können, teilen wir nicht. Viele soziale Formen, die nicht unbedingt als Spiele erkennbar sind, beinhalten Spieltechniken und funktionieren nach Spielmechaniken. Das Ganze hat natürlich immer seine zwei Seiten: Man muss einerseits ein Bewusstsein dafür entwickeln, was Spiele und Spielmechaniken leisten können. Andererseits geht es darum, wie der Spieler oder die Spielerin das Spiel für sich wahrnimmt, was er oder sie also daraus macht. Ich bin aber fest überzeugt, dass es eigentlich keinen Bereich und kein Medium gibt, die so gut in der Lage sind, Menschen zu motivieren – im Guten wie im Schlechten. Deshalb ist Medienkompetenz für Spiele heute wichtiger denn je.

CCB Magazin: Am Donnerstag stellen Sie das gamelab.berlin beim Kulturförderpunkt vor. Was bekommen die Besucher geboten und was leisten Spiele für den Bereich Kunst und Kultur? 

Dr. Stein:Wir präsentieren drei konkrete Praxisbeispiele aus dem Bereich VR und Tanz. Das erste lautet „Playing with Virtual Realities“, hierzu haben wir mehrere Monate intensiv mit professionellen Tänzer*innen gearbeitet. Es ging um die Frage, wie sie zusammen mit der technischen Bildgebung von Virtual Reality neue und ganz eigene Welten schaffen können und in welchem Verhältnis diese zur eigenen Imagination stehen. Am Ende haben wir dazu eine Performance im Studio Dock 11 ins Leben gerufen. Das zweite Projekt heißt „Golem“, federführend von Carly Lave geleitet. Hier konnte das Publikum während der Aufführung in VR-Headsets, die im Publikum herumgereicht wurden, eine virtuelle Version des Tanzstückes sehen, die parallel dazu generiert wurde. Tänzer*innen wurden dazu mit Motion Capturing getrackt, das heißt sie wurden auf virtuelle Avatare projiziert, womit wiederum eine Verschaltung von physischer und virtueller Performance möglich wurde – ein unglaubliches Erlebnis. Im dritten Projekt „Entering Virtual Realities“ haben wir das Ganze noch weiter getrieben: In einem Wochenend-Workshop wurden Tänzer*innen spielerisch und explorativ mit einer ganzen Reihe neuer Technologien konfrontiert. Das ganze funktionierte über eine Live-Übertragung mit einer stereoskopischen 360-Grad-Kamera, deren Bild auf zehn mobile VR-Headsets im Raum gestreamt wurde – darüber wurde es möglich, dass sich Tänzerinnen und Tänzer im Tanz selbst von außen sahen und mit sich selbst in Form einer externalisierten Version ihres eigenen Tanzes interagieren konnten. Das haben wir dann dem Publikum genauso ermöglicht: Tänzerinnen und Tänzer gingen hierzu auf Besucherinnen und Besucher zu, sie setzten ihnen die Headsets auf und schafften eine neue Infrastruktur ihrer Performance – Echtes und Virtuelles wurden eins. Verwirrend – aber auch sehr faszinierend. 

CCB Magazin:Kann das Virtuelle das Physische ersetzen? 

Dr. Stein:Nein, das glaube ich nicht, darum geht es auch nicht. Es geht um die Frage, wie neue Zusammenführungen und Möglichkeiten des Erlebens und der Verarbeitung geschaffen werden können. Das kann man in viele Bereiche weiter denken: So haben wir aktuell zum Beispiel einen Workshop zur Erarbeitung von Inhalten zum spielerischen Aufbau von Resilienz. Ziel ist es herauszufinden, wie in besonderen Belastungssituationen mit sich selbst besser umgegangen werden kann, um dem ganzen Stress irgendwie Herr oder Frau zu werden. Man kann natürlich sagen: Gerade die digitale Welt schafft neue Stresssituationen, weil alles so rasant nach vorne geht. Zugleich schafft ein Spiel Techniken der Verarbeitung. In der Regel sind Spiele ja darauf ausgelegt, die Spieler*innen „im Spiel zu halten“, sie damit auch zu Spielenden zu machen – es geht also darum, eigene Verhaltensweisen zu überprüfen, neue Verhaltensweisen zu erlernen, ohne in den Informationsüberfluss hineinzugeraten. Spielen ist immer Selbsterprobung. Es ist fundamentaler Bestandteil unseres Problemlösens. 

Spielen ist Selbsterprobung. Es ist fundamentaler Bestandteil unseres Problemlösens

 

CCB Magazin:Das Gamelab ist ein interdisziplinäres Projekt. Es bringt seit Jahren Akteure aus Wissenschaft, Kunst, Kultur und Forschung zusammen. Inwiefern können darüber auch Barrieren zwischen den einzelnen Kultursektoren überwunden werden? Ich sage es mal so: Der Bildende Künstler will oft nicht mit dem Werber, die eine oder andere Darstellende Künstlerin kann mit dem ganzen digitalen Schnick-Schnack der Gaming-Szene wenig anfangen.  

Dr. Stein:Das stimmt wohl, wir wollen aber nichts, was nicht zusammenkommen will, irgendwie zusammenpressen. Von der Kraft der Interdisziplinarität bin ich aber fest überzeugt. Das Gamelab ist ja selbst dem vielleicht weltweit sogar größten Interdisziplinaritätsprojekt aller Zeiten entsprungen, dem Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung, dem es tatsächlich als einzige Institution gelungen ist, über 40 Disziplinen zusammenzubringen – von der Natur-, Technik-, Sozial- über die Geisteswissenschaften bis hin zu Gestaltung und Design. Diese maximale Heterogenität von Wissenskulturen ist das eigentlich Neue und Spannende: Es geht um das Überwinden von Gewohnheitspositionen, das Ausloten neuer Grenzen und die Begegnung auf Augenhöhe. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, was VR schon jetzt leisten kann – im Bereich der Medizin, im musealen Bereich – , sind wir erst am Anfang dessen, was künftig möglich sein wird. Am Anfang stand ja auch nur mal ein Fernseher im Raum: Es gab keine Farbe und auch keine Fernbedienung im Wohnzimmer. In acht bis zehn Jahren wird das VR-Headset im Wohnzimmer vielleicht schon ganz selbstverständlich sein, genauso wie das Verschmelzen von Technologie und Tanz. Dabei soll das eine das andere nicht ersetzen. Es soll sich verbinden. Und ein solcher Fortschritt hat der Menschheit in den seltesten Fällen geschadet. 


Profil von Dr. Stein auf Creative City Berlin

 


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