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Sonja Bröderdörp: „Wir müssen die Einstiegshürden aus dem Weg räumen“

Sonja Bröderdörp: „Wir müssen die Einstiegshürden aus dem Weg räumen“
Foto: © ArchiTangle

Nach jahrelangem Hype und anschließender Flaute erlebt die Blockchain derzeit eine Renaissance. Wie kann sie für das Verlagswesen genutzt werden? Darüber sprachen wir mit Sonja Bröderdörp von ArchiTangle, die auf der diesjährigen Future Publish über die Nutzbarkeit für Verlage referiert hat.
 

InterviewJens THOMAS

 

CCB Magazin:Hallo Sonja, du arbeitest bei ArchiTangle, einem unabhängigen Verlag mit Sitz in Berlin, der sich auf Wissenstransfers und Projekte mit gesellschaftlicher Relevanz konzentriert. Was genau machst du da? Und welchen Hintergrund hast du?   

Sonja Bröderdörp:Ich bin CFO bei ArchiTangle und damit verantwortlich für die Finanzen, den Vertrieb und die Herstellung. Seit meiner Ausbildung zur Werbe- und Medienvorlagenherstellerin bei Axel Springer ist die Medienbranche mein Zuhause. Mein Weg zum CFO weist einige prägende Stationen auf, von der technischen Kundenbetreuung, über das Controlling in einem mittelständischen Druckvorstufenbetrieb bis hin zur Beratung bei einem Anbieter von Verlagssoftware. 2012 führte mich mein Weg in die Buchbranche – zunächst zu Hoffmann und Campe und dann zu Hatje Cantz, wo ich zuletzt die Bereiche Rechte, Finanzen und Controlling geleitet habe. Zusammen mit der Verlegerin Cristina Steingräber und ihrem Bruder Arne habe ich 2019 ArchiTangle mitgegründet. 

CCB Magazin:Auf der diesjährigen Future Publish hast du über das Potenzial von Blockchain für Verlage gesprochen. Für alle, die nicht wissen, was eine Blockchain genau ist bzw. wie sie funktioniert, kannst du das Prinzip einmal erklären?    

Sonja Bröderdörp:Eine Blockchain ist vereinfacht gesagt eine dezentrale Datenbank, auf der dauerhaft und fälschungssicher Daten gespeichert werden können. Dazu werden alle Einträge in zahlreichen Datenblöcken parallel gespeichert. Weicht eine Datenkopie von den anderen ab, wird sie automatisch ungültig – quasi eine technische Schwarmintelligenz, die Daten fälschungssicher macht. 

Eine Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, auf der dauerhaft und fälschungssicher Daten gespeichert werden können

CCB Magazin:Und was haben die Verlage davon?   

Sonja Bröderdörp:Eine ganze Menge. Das Verlagswesen kann mit dieser Technologie Inhalte publizieren und sie nahezu fälschungssicher machen – das hilft uns beim Schutz vor unberechtigter Nutzung und Manipulation. Es steht ja zu befürchten, dass mit der Verbreitung von KI-Tools die Flut an verfälschten Inhalten weiter zunehmen wird. Mit der Blockchain-Technologie können die Inhalte direkt nach ihrer Erstellung mit einem digitalen Fingerabdruck versehen und von den Urhebern signiert werden, sodass eine sehr transparente Prüfung der Authentizität möglich ist. 

CCB Magazin:Ihr setzt euch mit ArchiTangle gezielt mit den technologischen Grundlagen der Blockchain-Technologie für die Verlagsbranche auseinander. Was braucht man als Verlag, um eine Blockchain nutzen zu können? Für welche Verlage kommt sie in Frage? 

Sonja Bröderdörp:Eigentlich braucht ein Verlag nur den Mut, neue Wege zu gehen – und natürlich Tatendrang. Es gibt auch schon einige Anbieter, die Blockchain as a Service für das Verlagswesen bereitstellen. Wir sind allerdings der erste Verlag, der das von uns konzipierte BƆƆK+® nutzt. Das ist eine Erweiterung unserer Printpublikationen, indem wir digitale Zusatzinhalte auf der Blockchain speichern. Die Inhalte werden dazu über einen QR-Code in den Büchern verlinkt und so für unsere Leser über Generationen hinweg verfügbar gemacht. Das Ziel: Wenn in 50 Jahren jemand das Buch zur Hand nimmt, wird der Inhalt noch immer verfügbar sein, selbst wenn es den Verlag und eine entsprechende Website nicht mehr gibt.  

CCB Magazin:Können andere Verlage die Lizenzen erwerben?  

Sonja Bröderdörp:Ja, unsere Lösung lizensieren wir auch an andere Verlage und Institutionen, die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Der Mehrwert, den Verlage durch diese Technologie erzielen können, richtet sich nach der Art der Anwendung – sei es durch neuartige Produkte, wie etwa dem digitalen Original oder durch Zeitersparnis bei Rechteklärung und Honorarabrechnungen. Auch Einsparungen bei Herstellkosten und Logistik ergeben sich, wenn Aktualisierungen und Inhalte langfristig als digitale Komponenten mitgedacht werden – so wie wir es in unserem Architekturverlag mit BƆƆK+® bereits umsetzen. Darüber hinaus ergibt sich ein enormer Mehrwert durch die sichere Blockchain-basierte Verwahrung von Verträgen, im Fall der Verlage zum Beispiel bei Urheberrechtsverträgen, Originalmanuskripten und anderen Unterlagen. Hier kommt der AnySafe® unserer Schwesterfirma AnyTangle zum Einsatz, das ist ein Blockchain-basiertes Langzeitarchiv, das uns hilft, Unterlagen zu schützen und zu archivieren, die nicht verändert werden dürfen und auch für die nächsten Generationen einfach zugänglich und jederzeit verfügbar sein sollen.

Der Mehrwert, den Verlage durch Blockchain erzielen können, richtet sich nach der Art der Anwendung – sei es durch neuartige Produkte, wie etwa dem digitalen Original oder durch Zeitersparnis bei Rechteklärung und Honorarabrechnungen

CCB Magazin:Du hast in deinem Vortrag gezielt die Stärkung der Leser*innenbindung und eine effizientere Verwaltung von Urheberrechten und Lizenzen angesprochen. In welchen Punkten kann die Blockchain hier Abhilfe leisten?  

Sonja Bröderdörp:Für die Leser*innenbindung hat creatokia einen Meilenstein gesetzt, darüber entstehen durch eine kluge Nutzung von NFTs digitale Originale, die zusammen mit exklusiven Zusatzmaterialien und der Teilnahme an Events kombiniert werden können. Die Plattform kombiniert dabei geschickt die Vorzüge von Web2 und Web3. Wie oben erwähnt, gehen wir mit BƆƆK+® ganz neue Wege und stellen vollständige Dateien on chain. Das bedeutet, dass sie überall auf der Welt uneingeschränkt verfügbar gemacht werden können und dabei fälschungssicher sind, was unter anderem für das wissenschaftliche Publizieren völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Durch die Permanenz gehören Zugriffsfehler wie “404” der Vergangenheit an.

CCB Magazin:Und was ist mit den Urheberrechten? 

Sonja Bröderdörp:Bei den Urheberrechten hilft vor allem die Entwicklung von Standards wie etwa des ISCC, des International Standard Content Code, der kurz vor der ISO-Zertifizierung steht (ISO/DIS 24138). Dieser Standard ist Open Source und generiert einen inhaltsbasierten Fingerabdruck der Datei – egal ob Bild, Text, Audio oder Video. Jedem Inhalt, der vom Rechteinhaber auf der Blockchain registriert wird, kann die Verwertungsmöglichkeit gleich mitgegeben werden. Auch ein Opt-Out für die Verwendung als KI-Trainingsmaterial ist auf diesem Weg möglich. Letztlich eröffnet sich darüber auch die Möglichkeit der direkten Abrechnung über Smart Contracts, aber bis dahin sind noch ein paar Schritte zu gehen. 

CCB Magazin:Du beschreibst hier überwiegend die Vorteile. Wo lauern die Gefahren? 

Sonja Bröderdörp:Von der Blockchain-Technologie selbst geht keine Gefahr aus. Es wäre daher ein Fehler, vor ihrer Anwendung zurückzuschrecken, was bedeuten würde, dass sich die Technologie mit all ihren Vorteilen nicht durchsetzt und wir, nicht nur in der Verlagsbranche, eine große Chance verpassen. Aus unserer Sicht ist jetzt die Zeit gekommen, um diese bahnbrechende und zutiefst demokratische Technologie endlich zur Anwendung zu bringen.

Für Verlage gibt es keinen Grund, die interne Nutzung der charakteristischen technischen Vorteile der Blockchain-Technologie in Bezug auf Authentizität, Verifizierung und Dauerhaftigkeit von Inhalten weiter aufzuschieben – insbesondere angesichts der rasanten Verbreitung der künstlichen Intelligenz

CCB Magazin:Viele bringen mit der Blockchain-Technologie primär die Implementierung neuer Micropayment-Systeme in Verbindung. Wie lässt sich darüber als Verlag Geld verdienen? Hat man am Ende mehr raus? 

Sonja Bröderdörp:Gut, dass ihr das fragt. Denn Blockchain sollte gerade nicht auf Micropayments reduziert werden. Die Technologie kann deutlich mehr. Je nach Protokoll lassen sich inzwischen unterschiedlichste Transaktionen veranlassen, etwa auch um ganze Dateien fälschungs- und zugriffssicher zu speichern, was die Entwicklung neuer Produktgattungen ermöglicht. Rein kaufmännisch gesprochen ist der oben beschriebene effiziente Einsatz von Ressourcen der Ertragslage äußerst zuträglich. Ob wir durch den Einsatz neuer Technologien mehr erwirtschaften, muss sich natürlich noch zeigen. Wir glauben aber, dass es unser gemeinsames Ziel sein muss, durch Innovationen effizienter und vor allem nachhaltiger zu handeln, um dabei am Ende – auch finanziell – besser da zu stehen. 

CCB Magazin:Ihr beschäftigt euch mit ArchiTangle auch mit der Gewährleistung der Authentizität von Inhalten im Zuge von KI und Blockchain. Wie kann die Blockchain dazu gezielt genutzt werden? Welche Rolle spielt die KI?   

Sonja Bröderdörp:In der Medienbranche ist Authentizität natürlich ein Riesenthema. Ein Stichwort ist gerade die Zunahme von Deep Fakes. Wie oben angesprochen, steht zu befürchten, dass mit der Verbreitung von KI-Tools die Flut an verfälschten Inhalten weiter zunehmen wird. Vertrauen ist hier eine der wichtigsten Währungen der Zukunft und die Blockchain-Technologie kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten. So können zum Beispiel digitale Fingerabdrücke der Originaldaten direkt nach ihrer Erstellung auf einer öffentlichen Blockchain gespeichert werden, und alle Bearbeitungen werden auf dieselbe Art festgeschrieben, was Manipulationen transparent macht. Das gilt natürlich auch für KI-generierte Inhalte, sodass Nutzer*innen – sofern es die Plattformen, auf denen sie veröffentlicht werden, zulassen – diese Informationen einsehen und damit unter Umständen Inhalte vergleichen können. Somit können wir sogar sagen, dass die Blockchain-Technologie durch KI noch einmal relevanter geworden ist. 

CCB Magazin:Wenn du abschließend eine Prognose wagen würdest, welchen Stellenwert hat die Blockchain für das Verlagswesen in ein paar Jahren? Und welche Rolle spielt die Entwicklung von KI dabei?    

Sonja Bröderdörp:Für Verlage gibt es keinen Grund, die interne Nutzung der charakteristischen technischen Vorteile der Blockchain-Technologie in Bezug auf Authentizität, Verifizierung und Dauerhaftigkeit von Inhalten weiter aufzuschieben – insbesondere angesichts der rasanten Verbreitung der künstlichen Intelligenz. Wie bei allen Innovationen müssen wir dazu die Einstiegshürden aus dem Weg räumen, damit die Blockchain-Technologie in all ihren Facetten einen wichtigen Beitrag für die Wirtschaftlichkeit in den Unternehmen leisten kann – auch für die Verlagsbranche. Schade wäre, wenn es nochmal ein paar Jahre dauert, bis die neuen Konzepte von der Mehrheit der Nutzer angenommen werden. Unsere optimistische Prognose lautet darum, dass kurzfristig die Unternehmen und dann – wahrscheinlich zeitlich versetzt – auch die Endkunden in ein paar Jahren Blockchain als Technologie ganz selbstverständlich, direkt oder indirekt, nutzen werden.


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