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Sina Herrmann: "Museen müssen zu Multiplikatoren werden"

Sina Herrmann: "Museen müssen zu Multiplikatoren werden"
Foto: © privat

Museen stehen vor großen Herausforderungen, auch was die Nachhaltigkeit betrifft. Ein neues Zertifizierungsprogramm will nun die Nachhaltigkeit in den Museen stärken - um was es geht, klärt Sina Herrmann, Projektleiterin Klimaschutz und Nachhaltigkeit beim Deutschen Museumsbund e.V., im Gespräch auf. 
 

INTERVIEW  Jens Thomas

 

CCB Magazin: Hallo Frau Herrmann, Sie starten in Kooperation mit dem Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin ein neues Zertifizierungsprogramm für Museen zum Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Wer wird dort nach welchen Kriterien zertifiziert? 

Sina Herrmann: Das Zertifizierungsprogramm richtet sich an alle Museen in Deutschland, die sich aktiv für mehr Nachhaltigkeit in ihren Strukturen, Prozessen und Angeboten einsetzen wollen. Das Programm wurde in Berlin entwickelt. Die Kriterien dazu sind mit einer Arbeitsgruppe aus Museumsfachleuten erarbeitet worden und orientieren sich stark an denen des Österreichischen Umweltzeichens, das bereits erfolgreich zum Einsatz kommt. Über den Zertifizierungsprozess soll ein ganzheitlicher Nachhaltigkeitsprozess im Museum eingeführt werden, der ökologische, soziale und wirtschaftliche Kriterien umfasst. 

Das Zertifizierungsprogramm richtet sich an alle Museen in Deutschland, die sich aktiv für mehr Nachhaltigkeit in ihren Strukturen, Prozessen und Angeboten einsetzen wollen. Die Kriterien dazu sind mit einer Arbeitsgruppe aus Museumsfachleuten erarbeitet worden und orientieren sich stark an denen des Österreichischen Umweltzeichens

CCB Magazin: Können Sie mal ein Beispiel bringen? Was kann ein Museum im Bereich der Nachhaltigkeit alles tun?

Sina Herrmann: Eine ganze Menge, die Maßnahmen reichen von der Sanierung des Gebäudes über den abfallarmen Einkauf bis hin zur Reduktion des Verkehrs bei An- und Abreise der Besucher*innen. So hat das Braunschweigische Landesmuseum beispielsweise Maßnahmen im Bereich des energieeffizienten Umbaus oder der Inbetriebnahme neuer Nachlüftungskonzepte vorgenommen. Oder der Martin Gropius Bau hat in seiner Ausstellung „Down to Earth“ 2020 verstärkt mit Tageslicht gearbeitet, um die Energiezufuhr zu reduzieren – andere wiederum installieren neue Klima- oder Photovoltaikanlagen, um den CO2-Ausstoß zu drosseln, oder sie schaffen Anreize für die nachhaltige Anreise ihrer Besucher*innen und stärken die Bereiche Inklusion und Barrierefreiheit. Auch das gehört zur Nachhaltigkeit. In unserem Projekt „Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Museum“ haben wir uns allerdings verstärkt auf die ökologische Nachhaltigkeit konzentriert, da das bisher kaum in der Museumswelt diskutiert wurde. 

CCB Magazin: Wie wird Nachhaltigkeit in Ihrem Zertifizierungsprozess definiert? Und wie werden die Kriterien festgelegt und zum Schluss überprüft? 

Sina Herrmann: Unter Nachhaltigkeit verstehen wir das Zusammenspiel aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Kriterien, das kann, wie dargelegt, ganz vielschichtig sein. Im Bereich der Ökologie haben wir dazu einen Leitfaden entwickelt, der ökologische Mindeststandards für die Museen vorsieht. Auch gibt es weitere Arbeitshilfen, mit denen verstärkt Anreize für die Umsetzung unserer Standards geschaffen werden können. Insgesamt geht es uns darum, Museen bei der Einführung eines strukturierten Nachhaltigkeitsmanagements und bei der Erhebung ihrer Verbrauchsdaten zu unterstützen. Denn schlussendlich geht es darum, nachhaltige Prozesse Schritt für Schritt im Museum einzuführen und zu verstetigen sowie seine Verbräuche zu kennen, um zu schauen, welche Maßnahmen welche Wirkung hatten und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Bewertet werden aber auch Maßnahmen im Bereich der Bildung, Inklusion oder Barrierefreiheit. Die Zertifizierung selbst ist dann als Prozess angelegt: Sie wird immer wieder rezertifiziert werden, denn Nachhaltigkeit ist kein Prozess, der irgendwann endet. Erarbeitet wird das Ganze von einer Arbeitsgruppe aus Museumsfachleuten und den Museumsverbänden. Punktuell beziehen wir auch externe Expert*innen aus den Bereichen Ökologie, Soziales oder der Datenerhebung mit ein. Die Prüfung soll am Ende jedoch von externen Auditor*innen übernommen werden, damit die Zertifizierung glaubwürdig ist und ein hoher Standard eingehalten werden kann.

Es geht darum, Museen bei der Einführung eines strukturierten Nachhaltigkeitsmanagements zu unterstützen. Nachhaltige Prozesse sollen Schritt für Schritt  eingeführt und verstetigt werden. Auch Maßnahmen im Bereich der Bildung, Inklusion oder Barrierefreiheit werden dabei berücksichtigt

CCB Magazin: Und welchen Prozess müssen die Museen durchlaufen? 

Sina Herrmann: Die teilnehmenden Museen bewerben sich zunächst über ein Auswahlverfahren, das Kriterien wie die Größe des Hauses, Gattung, Lage und die bisherigen Nachhaltigkeitsmaßnahmen berücksichtigt. Im Prozess erarbeiten die Museen dann gemeinsam mit einer externen Beratung ein Leitbild sowie einen Aktionsplan mit individuellen Maßnahmen, die innerhalb eines definierten Zeitraums umgesetzt werden sollen. Hier lassen wir den Museen die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie viele Ressourcen sie in die Umsetzung investieren möchten und können. Begleitet wird der Prozess durch drei Workshops, Peer-Learning und Feedbackschleifen. Am Ende werden die Kriterien der Zertifizierung von uns überarbeitet und wir können durch die Erfahrungen, die wir während der Pilotphase gesammelt haben, in einen Austausch gehen, um beispielsweise Anreize und Unterstützungsmechanismen anzubringen. 

CCB Magazin: Was macht eigentlich der Deutsche Museumsbund e.V.? Wie – und seit wann – ist Nachhaltigkeit in den Vereinsstrukturen verankert? 

Sina Herrmann: Der Deutsche Museumsbund (DMB) setzt sich als Dachverband für die Interessen der Museen und ihren Mitarbeitenden in Deutschland ein, von der politischen Vertretung bis zur praktischen Unterstützung. So erarbeiten wir nicht nur die genannten Leitfäden, die bei der praktischen Arbeit im Museum unterstützen, wir veranstalten auch einmal im Jahr eine große Konferenz, in der wir mit rund 800 Teilnehmenden aktuelle Themen diskutieren, oder wir organisieren Stammtische für den kollegialen Austausch. Seit 2019 ist Nachhaltigkeit ein Schwerpunktthema im DMB. Angelehnt an die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen integrieren wir die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsaspekte, insbesondere den Klimaschutz, hochwertige Bildung sowie die nachhaltige Gestaltung von Städten und Gemeinden. Dazu entwickeln wir Arbeitshilfen für die Museen, um Demokratie, Bildung, Toleranz und gesellschaftliche Verständigung zu fördern.  

CCB Magazin: Jetzt, wo Sie das ansprechen: Greift der Nachhaltigkeitsansatz damit nicht zu kurz? Im Vordergrund stehen vor allem ökologische Kriterien, so auch in Ihrem Zertifizierungsprozess. Müssten nicht vermehrt auch demokratiefördernde Aspekte berücksichtigt werden, wo die AfD nun in Deutschland ein Hoch erlebt und sich in der gesamten Welt Autokratien Platz verschaffen?

Sina Herrmann: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Denn tatsächlich ist es heute keine Selbstverständlichkeit mehr, dass wir in einer Demokratie leben – darum muss der Nachhaltigkeitsbegriff breiter angelegt werden, und den Museen könnte dazu eine Vermittlerrolle zukommen. Denn hier findet der Austausch und der Diskurs statt – und es passiert ja auch bereits unheimlich viel: So begreift sich das Emsland Moormuseum beispielsweise gezielt als „Lernort“ und entwirft Programme für Schulklassen, Familien oder Erwachsene unter Hinzuziehung geschulter Museumspädagogen. Man muss auch wissen, dass Museen in der Gesellschaft heute ein großes Vertrauen genießen, wie erst kürzlich eine Studie des Instituts für Museumsforschung ergab. Laut der Studie wird den Museen sogar mehr Vertrauen entgegengebracht als der Wissenschaft. Das zeigt: Museen sind nicht nur Orte der Begegnung. Ihnen kommt eine gesellschaftliche Verantwortungsrolle zu.  

Museen genießen heute in der Gesellschaft ein großes Vertrauen. Laut einer Studie wird den Museen sogar mehr Vertrauen entgegengebracht als der Wissenschaft. Das zeigt: Museen sind nicht nur Orte der Begegnung. Ihnen kommt eine gesellschaftliche Verantwortungsrolle zu

CCB Magazin: Viele empfinden Nachhaltigkeit nicht nur als gesellschaftliche Herausforderung, sondern als Überforderung – überall gibt es derzeit neue Vorgaben und Verordnungen, und es gehört zum guten Ton, nachhaltige Standards zu setzen. Wird Nachhaltigkeit für viele Unternehmen zur Belastung?

Sina Herrmann: So würde ich das nicht sagen, aber die Vielzahl an Nachhaltigkeitsanforderungen kann für viele sicherlich eine Überlastung darstellen. Daher setzen wir bei unserem Zertifizierungsprogramm auch auf pragmatische Lösungen, die mit den verfügbaren Ressourcen innerhalb der Institution umsetzbar sind: Nachhaltigkeit darf nicht nur ein gesellschaftlicher Anspruch sein. Er darf zu keiner Überforderung und Überlastung für die Beteiligten führen. Darum ist auch eine Diskussion über Kapazitäten und Grenzen so wichtig. Es muss darum gehen, eine neue Balance zwischen ambitionierten Zielen und realistischen Umsetzungsmöglichkeiten finden zu können – und genau auf dieses Spannungsfeld zielt unsere Zertifizierung ab.

CCB Magazin: Wo wollen Sie mit Ihrem Zertifizierungsprogramm langfristig hin? Und was planen Sie sonst noch alles im Bereich der Nachhaltigkeit?  

Sina Herrmann: Langfristig soll das Zertifizierungsprogramm nachhaltiges Handeln in Museen als Standard etablieren. Ziel ist es, dass Museen nicht nur Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit werden, sondern als Multiplikatoren für die Gesellschaft in der Gesellschaft wirken. Neben dem Zertifizierungsprogramm planen wir dazu weitere Projekte, wie vertiefende Schulungsangebote und Kooperationen mit internationalen Partnern. Ziel muss es sein, eine breite Wirkung zu erzielen und die Kultur als Vorbild in der Nachhaltigkeitsbewegung zu positionieren. 


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